Meister und Weberinnen

Zur Rolle der Frauen in der Werkstatt der Moderne

Zum Jubiläumsjahr des Bauhauses drängt sich der Eindruck auf, dass die Werkstatt der Moderne Wegbereiter für fast alles war, was heute in der Gestaltungswelt wertgeschätzt wird. Die Verbindung von Industrie, Kunst und Handwerk, die Unterrichtsmethoden, die Publikationen der Schule, die Idee des Gesamtkunstwerks – und nicht zuletzt natürlich ein umfassendes Verständnis von Ästhetik, das viele Architektinnen und Architekten 100 Jahre nach der Gründung des Bauhauses als ihr persönliches Leitbild schätzen.

Foto: T. Lux Feininger, Bauhaus-Archiv Berlin / Estate of T. Lux Feininger
Die Weberinnen auf der Bauhaus-Treppe, 1927

Text

Trotz ihrer kurzen Lebensdauer von nur 14 Jahren ist die Reformschule Ideengeber für viele aktuelle Konzepte und Wünsche. Das Bauhaus #allesistdesign nannte das Vitra Design Museum 2015 eine Ausstellung.1 „Von der Stadt bis zum Kugelschreiber ist alles, was uns umgibt, Bauhaus“, resümiert Patrik Schumacher von Zaha Hadid Architects in My Bauhaus/Mein Bauhaus.2 Angesichts der Fülle an aktuellen Referenzen auf ein historisches Phänomen mag jedoch auch die Gegenfrage berechtigt sein: Was ist heutzutage eigentlich nicht Bauhaus? Oder anders formuliert: Was müssen wir besser machen als am Bauhaus? Wo sollten wir uns klar von ihm distanzieren?

Unser Bauhaus-Erbe

Dieser Essay von Sandra Hofmeister ist ein Auszug aus dem Band „Unser Bauhaus-Erbe“. Zehn internationale Autorinnen und Autoren gehen der Frage nach, ob und wo das Bauhaus Spuren im zeitgenössischen Architekturgeschehen hinterlassen hat. Mit Texten u.a. von Aaron Betsky, Zvi Efrat und Kenneth Frampton.

Zur Publikation

Reform der Geschlechterrollen

Am 19. Januar 1919 wurden Frauen erstmals zur Wahl der deutschen Nationalversammlung zugelassen – ein historisches Ereignis. Nur wenige Monate später hielt Gründungsdirektor Walter Gropius in einer Ansprache zur Eröffnung des Bauhauses in Weimar fest: „Keine Unterschiede zwischen schönem und starkem Geschlecht. Absolute Gleichberechtigung, aber auch absolut gleiche Pflichten in der Arbeit aller Handwerker.“3 Der neue Mensch, der am Bauhaus geformt werden sollte, konnte also auch weiblich sein – damals an Kunstschulen durchaus keine Selbstverständlichkeit.4 Zum ersten Semester im Sommer 1919 wurden 79 Männer und 84 Frauen zur Ausbildung am Staatlichen Bauhaus zugelassen. Auf den ersten Blick könnte dies als Erfolg gelten, der mit dem Reformgedanken der Institution geschuldet ist. Schwarz-Weiß- Fotos der Zeit zeigen die Studentinnen des Bauhauses als forsche Frauen mit kurzen Haaren; manchmal tragen die selbstbewussten Pionierinnen der Gestaltung sogar Hosen. Doch das Bild des neuen Frauentypus, der gerne mit dem Bauhaus verbunden und manchmal sogar als dessen Verdienst dargestellt wird, erzählt nicht die ganze Geschichte. Denn kurz nach Gründung der Schule war der rein männlich besetzte Meisterrat von so vielen Frauen schlicht überfordert. Im September 1920 forderte Gropius „eine scharfe Aussonderung“ bei dem „der Zahl nach zu stark vertretenen weiblichen Geschlecht“.5 Die freie Werkstattwahl für Studentinnen, die fortan mehr Studiengebühren als ihre männlichen Kommilitonen zahlen mussten, wurde extrem eingeschränkt und Frauen zum Studium in die Weberei geschickt. Männerdomänen hingegen blieben dem „schönen Geschlecht“ in der Regel versagt. Einige Werkstattleiter machten unverhohlen deutlich, dass Studentinnen unerwünscht seien – in der Töpferei, in der grafischen Druckerei, in der Metallwerkstatt oder bei der Wandmalerei. Von Oskar Schlemmer, der 1921 zum Bauhaus kam, ist das Zitat überliefert: „Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib.“6

Frauenkarrieren am Bauhaus

Wenn es um die Rolle der Frauen ging, war die Kaderschmiede der Moderne nicht revolutionär und zukunftsorientiert, sondern unter der Oberfläche sogar altbacken und rückwärtsgewandt. „Die Strategie klammheimlicher Behinderung – offen vorzugehen trauten sich die Meister nicht – zeigte […] Wirkung“, hält Ursula Muscheler in Mutter, Muse und Frau Bauhaus. Die Frauen um Walter Gropius fest.7 Als Institution hat das Bauhaus Frauen jedenfalls nicht gefördert, sondern sie auf ein Rollenbild reduziert, das dem konservativen Frauen- und Hausfrauenbild der Meister-Männer entsprach. Umso erstaunlicher ist es, dass einzelne Studentinnen dank der gezielten persönlichen Unterstützung weniger Lehrer trotzdem Karriere gemacht haben. Unter ihnen sind Gunta Stölzl und Anni Albers, sie haben die Weberei am Bauhaus den Umständen zum Trotz in eine der erfolgreichsten Werkstätten verwandelt. Lilly Reich leitete unter Ludwig Mies van der Rohe die Bau- und Ausbauabteilung, Marianne Brandt studierte bei László Moholy-Nagy und übernahm nach dessen Weggang die Leitung der Metallwerkstatt. Beide Frauen arbeiteten später als Architektinnen, Brandt im Büro von Walter Gropius, Reich bei Mies van der Rohe.

Ursula Kirsten-Collein / Bauhaus-Archiv Berlin
Weberinnen am Fenster

Pionierinnen der Architektur

Die Bewegung der Moderne in Europa wird zu Recht auch als ein Aufbruch der Frauen verstanden, die das Berufsfeld der Architektur erstmals eroberten – von Charlotte Perriand bis zu Margarethe Schütte-Lihotzky oder Eileen Grey. Allerdings waren Pionierinnen am Bauhaus insgesamt eher gnädig geduldet als willkommen – und erst recht nicht gefördert oder gefeiert. 100 Jahre nach der Gründung des Bauhauses wird es deshalb auch Zeit für eine Bilanz der gegenwärtigen Situation. Was hat sich verändert auf institutioneller Ebene? Als der amerikanische Architekt Robert Venturi 1991 den Pritzker-Preis erhielt, blieb seine langjährige Lebensgefährtin Denise Scott Brown, mit der er 1964 das gemeinsame Büro Venturi Scott Brown Associates gegründet hatte, außen vor. „Room at the Top. Sexism and the Star System“, so der Titel eines Vortrags von Denise Scott Brown, den sie 1973 hielt und 1989 als Essay veröffentlichte:8 eine ernüchternde Bilanz zu den frauenverachtenden Strukturen in ihrem Berufsfeld und alltäglichen Leben als Architektin. Ihre entlarvende Anklageschrift beginnt Scott Brown mit der Feststellung: „Viele Frauen können aus ihrem Berufsfeld Horrorgeschichten über die Diskriminierung aufzählen, an der sie im Lauf ihrer Karriere gelitten haben.“ Trotz einer Petition im Jahr 2013 wurde Denise Scott Brown der Pritzker- Preis auch im Nachhinein nicht neben ihrem Mann zuerkannt. Trotzdem hat Denise Scott Brown auch heute noch nicht aufgegeben. In einem unveröffentlichten Gespräch im Dezember 2018 anlässlich der Ausstellung Downtown Denise Scott Brown im Architekturzentrum Wien empfiehlt die heute 87-jährige Architektin jungen Kolleginnen und Hochschulabsolventinnen: „Wir müssen akzeptieren, dass der Beruf viele Erfahrungen mit sich bringt, auch solche, die nichts mit Architektur zu tun haben. Falls möglich, sollten wir immer versuchen, die Bedingungen selbst festzulegen.“

Und jetzt?

An den Architekturfakultäten vieler Hochschulen sind derzeit mehr Studentinnen als Studenten immatrikuliert – ähnlich wie bei der Gründung des Bauhauses. Aufbruchsstimmung herrscht trotzdem nicht. Es bleibt weiterhin schwer für Frauen, sich im Berufsfeld der Architektur zu etablieren und anerkannt zu werden. Dies betrifft nicht nur freie Büros sowie generell die Auftragsvergabe und das Wettbewerbswesen, sondern auch das Lehrpersonal an Hochschulen: Professorenstellen an Architekturfakultäten sind heute nach wie vor überwiegend männlich besetzt. Im Vergleich zur Situation am Bauhaus hat sich zwar viel getan, was die Rechte von Frauen betrifft, der Durchbruch jedoch ist keineswegs erreicht. Wie damals ist der Großteil der „Meister“ an den Hochschulen männlich. Unter den Studierenden sind – immerhin – mehr Frauen. Universitäten, Verlage, Institutionen und Jurys, Bauherren und Personalabteilungen – sie alle müssen sich mehr kritische und selbstkritische Fragen stellen und die Geschlechterverteilung als Herausforderung begreifen. Zu Recht mag Denise Scott Brown heute für einige als Star gelten. Doch Frauen in der Architektur sind noch lange nicht gleichberechtigt. Bleiben wir also dran!

[SH]

Bauhaus-Universität Weimar
Werkstattraum der Weberei am Bauhaus in Weimar, Foto: unbekannt, um 1923.
  1. [1] The exhibition was shown in Weil am Rhein, Bonn, Tel Aviv and Brussels. The catalogue was edited by Mateo Kries and Jolanthe Kugler
  2. [2] Sandra Hofmeister, ed., My Bauhaus. Mein Bauhaus. 100 Architects on the 100th Anniversary of a Myth. 100 Architekten zum 100. Geburtstag eines Mythos, Munich, 2018, p. 208.
  3. [3] Quoted in Ulrike Müller, Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design, Munich, 2009, p. 16.
  4. [4] At the time, only a few art schools in Europe admitted female students. This included the Grossherzoglich-Sächsische Kunstgewerbeschule in Weimar – a predecessor institution of the Bauhaus – under director Henry van de Velde.
  5. [5] Walter Gropius, letter from 2 September 1920, quoted in Ulrike Müller, Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design, Munich, 2009, p. 89.
  6. [6] Ursula Muscheler, Mutter, Muse und Frau Bauhaus. Die Frauen um Walter Gropius, Berlin, 2018, p. 97.
  7. [7] Ibid.
  8. [8] Denise Scott Brown, “Room at the Top? Sexism and the Star System in Architecture”, in Ellen Perry Berkley and Matilda McQuaid, eds., Architecture: A Place for Women (Washington DC, 1989), pp. 237–246. Reprinted as “Sexism and the Star System in Architecture”, in Denise Scott Brown, Having Words, London, 2009, pp. 79–89.
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