„Queere Menschen wurden zu einem gewissen Grad aus der Bauhaus-Geschichte
gelöscht.“
Im Gespräch mit Elizabeth Otto
Die Kunsthistorikerin und Autorin Elizabeth Otto erweitert die Geschichte des Bauhaus gerade um ein wichtiges Kapitel: das der queeren Kreativen. Ihr Buch „Haunted Bauhaus: Occult Spirituality, Gender Fluidity, Queer Identities, and Radical Politics“ erscheint Anfang September bei MIT Press. Wir haben mit ihr vorab über Kunst im queeren Kontext, Gender am Bauhaus und den vergessenen Aktivisten und Designer Richard Grune gesprochen.
Gibt es eine queere Art, zu leben und Kunst zu schaffen?
Es gibt zwar keinen einzigen queeren Ansatz zur Kunst, aber es bestehen eine Reihe von Strategien, Gesten und Zeichen, die sich queere Künstler*innen schon immer zunutze gemacht haben. Wie mein Freund und Kollege Jonathan Katz erläuterte, gibt es eine lange Tradition von Mitgliedern verschiedener Subkulturen, die über kodierte Sprache und Bildsprache kommunizieren. Die bildliche Darstellung bietet besonders viele Möglichkeiten, durch Suggestion, Symbole und Allegorien Mehrdeutigkeiten zu vermitteln. Während der Weimarer Republik, als männliche Homosexualität in Deutschland nach § 175 des deutschen Strafgesetzbuches noch unter Strafe stand und weibliche Homosexualität über soziale Normen und sogar Gewaltandrohung geahndet wurde, erlebte dieser „Kunstkodex“ eine Blütezeit, denn er ermöglichte es queeren Künstler*innen, einem bestimmten Publikum Ideen und Wünsche auf eine Weise zu kommunizieren, die andere wahrscheinlich nicht einmal wahrnehmen würden.
Allgemeiner ausgedrückt kam es trotz der repressiven Gesetzeslage in der Zwischenkriegszeit dennoch zur Entfaltung von Sexualstudien, insbesondere im Werk des Sexualforschers Magnus Hirschfeld, dessen Institut für Sexualwissenschaft 1919 in Berlin eröffnet wurde – im gleichen Jahr, in dem das Bauhaus gegründet wurde. Obgleich also repressive Kräfte wirkten, blühte in dieser Zeit eine lebhafte queere Kultur auf, die von den Bauhäuslern sowohl genutzt als auch befruchtet wurde.
Im Kapitel „Queeres Bauhaus“ meines Buchs „Haunted Bauhaus“ betrachte ich einen Bereich der Kunst, den man rückblickend als „queer“ bezeichnen kann, um explizit die zuvor nicht anerkannten schwulen, lesbischen und transgender sexuellen Identitäten von Bauhaus-Mitgliedern anzusprechen. Daneben betrachte ich Bilder, die sich für queere Interpretationen eignen, ohne ihren Schöpfer*innen bestimmte Identitäten und Praktiken zuzuweisen.
Wurden queere Menschen aus der Geschichte des Bauhaus gelöscht?
Ja, in gewisser Weise, obwohl man dies über so viele der mehr als 1.200 Bauhäusler*innen sagen kann. Allzu häufig wurde die Schule lediglich von einer Handvoll Künstler*innen und Designer*innen repräsentiert, üblicherweise von cisgender Männern, ungeachtet der Diversität von Menschen, die die Institution so vielfältig und interessant machten. Zudem wird in Fällen von schwulen oder lesbischen Künstler*innen, die mehr oder weniger bekannt sind – wie beispielsweise Max Peiffer Watenphul oder Florence Henri – deren Sexualität fast nie diskutiert. Sie wird höflich ignoriert oder vertuscht. Diese Tendenz Sexualität und Gender-Identität im Gegensatz zu anderen Kategorien, wie beispielsweise „künstlerisches Genie“, als nebensächlich abzutun, war in der Kunstgeschichte eher üblich. Glücklicherweise hat hier ein Wandel stattgefunden, so dass die von Studierenden sondierten Fragen viel breiter, weniger formell und interessanter sind.
Des Weiteren führe ich, indem ich auf Studien des Single-Daseins zurückgreife, in meinem Buch den Begriff des „queeren Einzelkinds“ ein, um über die Annahme hinauszugehen, dass die Wünsche und das Sexuallebens einer unverheirateten oder anscheinend partnerlosen Person „verborgen“ bleiben müssen, wenn wir darüber nichts wissen. Während die „ledige Tante“ zum berühmten Klischee für die uneingestandenen Lesben in vielen Familien wurde, nimmt die Idee eines queeren Einzelkinds die Weigerung einiger Künstler*innen, Partnerschaften einzugehen, als wichtigen Aspekt ihrer Identitäten und Werke ernst. Margaret Camilla Leiteritz – eine der besten Tapetendesignerinnen des Bauhaus, die später Archivarin und abstrakte Malerin wurde – ist eine Künstlerin, die ich aus dieser Perspektive erörtere.
Gropius vertrat über bestimmte Formen oder Konzepte von Männlichkeit (die Farbe Rot, das Dreieck) oder Weiblichkeit (die Farbe Blau, das Quadrat) bizarre Überzeugungen. Ist dies die einzige Quelle der Gender-Probleme im Bauhaus?
Obgleich ich daran arbeite, unseren Ansichten darüber, was das Bauhaus war und wer in seiner Geschichte „zählt“, zu korrigieren und unseren diesbezüglichen Horizont zu erweitern, sehe ich nicht, dass Walter Gropius für seine Zeit besonders sexistisch oder voreingenommen war. Er machte sich zwar eindeutig Gedanken darüber, dass die Schule nicht als von Frauen überlaufen betrachtet werden sollte, und machte es Frauen auch schwieriger, zugelassen zu werden, aber hier ging es mehr um den strategischen Aufbau der Institution im Kontext einer sexistischen Welt. Und tatsächlich sorgte er Frauen gegenüber in der Institution häufig für relative Unterstützung.
Im Gegensatz dazu gibt es keinen Nachweis über Gropius' Sichtweise zu Schwulen und Lesben. Sicherlich waren ihm Max Peiffer Watenphul und Florence Henri sehr willkommen, und beide hatten innerhalb der Schule eine gewisse Experimentierfreiheit. Es ist jedoch unklar, ob eine*r der beiden Künstler*innen während der Zeit am Bauhaus allzu „geoutet“ waren. Ich kann nicht erkennen, dass das Bauhaus queeren Menschen seiner Zeit gegenüber besonders offen war, aber es war ein Ort, an den sich viele junge Menschen auf der Suche nach neuen Lebensweisen wandten und von dem sie angezogen wurden, und einige von ihnen scheinen, vermutlich unter dem Radar, queere Verbindungen und Allianzen geschlossen zu haben.
Im Sinne von transgender Personen scheint diesen nicht vermittelt worden zu sein, dass sie sich in der Schule zu Hause fühlen können, obwohl das Spiel mit den eingeschliffenen Geschlechterrollen und so genanntes „Crossdressing“ in der Partykultur des Bauhauses akzeptiert waren. In meinem Buch bespreche ich den Fall einer Person, die wir heute als transgender Mann bezeichnen würden und die vermutlich aufgrund von Diskriminierung nicht zugelassen wurde.
Gibt es, wenn es um Macht, Sichtbarkeit und Anerkennung in Form von Geld und Unterstützung geht, einen Unterschied zwischen queeren Menschen, die sich als männlich identifizieren, und queeren Menschen, die sich als weiblich bezeichnen? Um es einfacher auszudrücken: Dominieren in der Realität queere Künstler, die sich als männlich definieren?
Diese Frage ist für die Zwischenkriegszeit sehr schwierig zu beantworten, da alle queeren Künstler*innen so stark institutionalisiert und persönlich diskriminiert wurden. Ich würde sagen, dass die visuelle Bilddeutung männlicher Homosexualität zu dieser Zeit deutlicher erkennbar war, wohingegen Bilder von Lesben tendenziell schwächer und provisorischer wirkten.
Glauben Sie, dass das Bauhaus durch Ihre Forschung um neue Künstler*innen und Werke erweitert wird?
Ja. Ganz allgemein erweitert „Haunted Bauhaus“ den Blick, um eine Vision der Ziele und Projekte der Schule hervorzubringen, die viel diverser ist als sie zuvor verstanden wurde.
Gibt es eine*n queere*n Bauhaus-Künstler*in, dessen/deren Namen Sie laut herausschreien möchten?
Richard Grune verbrachte ein Jahr im Bauhaus und verließ es dann, um Grafikdesigner und Linksaktivist zu werden. Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 arbeitete Grune bei antifaschistischen Zeitungen, er wurde 1934 jedoch nicht für seine antifaschistische Tätigkeit inhaftiert, sondern dafür, dass er schwul war. Er verbrachte den Großteil der folgenden elf Jahre in Konzentrationslagern; sein Werk wurde weitgehend zerstört, und er selbst überlebte gerade so. Weil Paragraph 175 bis 1994 Teil des deutschen Rechts blieb, wurde Grune nie für seine Inhaftierung oder sein Leid entschädigt. Der Rest seines Lebens war offenbar schwierig, sein Leben und Werk blieben weitgehend unbekannt. Aber er nutzte sein Talent, um eine Reihe von Lithografien mit dem Titel „Passion des XX. Jahrhunderts“ zu schaffen, in denen er seine schrecklichen Erlebnisse in den Lagern der Nazis darstellt.
Grunes Geschichte ist tragisch, aber zur Wiederherstellung queerer Identitäten im Bauhaus sowie zur Einbeziehung von Fragen der Gender-Identität, Sexualität und sexuellen Neigungen in die Studie dessen, was die Schule war und wer als Bauhäusler zählt, ist sie für mich ein Triumph für all diejenigen, die in ihrer Zeit diskriminiert wurden. Um es in den Worten von Oscar Wilde auszudrücken: Über die „Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt“, kann jetzt gesprochen werden, und sie kann als bedeutendes Element einer der wichtigsten Bewegungen der modernen Kunstgeschichte verstanden werden.