Verrückt nach Bildern
Von der Fotografie zur Lichtwerkstatt
Kaum eine Disziplin, die so spät zum regulären Unterrichtsfach wurde, war am Bauhaus so präsent wie die Fotografie. John Grimes, emeritierter Professor des aus dem New Bauhaus hervorgegangenen Institute of Design und Experte für die Entwicklung computergestützter digitaler Bildverarbeitung, skizziert 100 Jahre Begeisterung fürs Bildermachen – von Dessau nach Chicago, von der Dunkelkammer bis zur Cloud.
Absatz 1 - 3
Das Bauhaus war keine Kunsthochschule, sondern bot Künstlern eine sehr nützliche Ausbildung an. Die Verbindung von Kunstmethoden und Einblicken in neue, durch technische Planung bei der Schaffung neuer alltagstauglicher Kunstwerke entwickelte Technologien, in Kombination mit dem Streben nach sozialer Veränderung über den technischen oder kommerziellen Erfolg hinaus brachte das Bauhaus auf der Suche nach einer neuen Rolle für die Kunst in einer erhofften und demokratischen Gesellschaft nach vorne.
Neue Technologie in Zeiten des Bauhauses bedeutete nicht wirklich „neu“. Elektrische Straßenbeleuchtung war bereits Jahrzehnte zuvor selektiv eingesetzt worden, aber erst in den 1920er Jahren wurden Berlins Haushalte elektrifiziert, wodurch es elektrische Leuchten und Geräte auch auf der Verbraucherebene geben konnte. Ebenso war es diese Zeit, als industriell hergestellte Furniere, Stahlrohre, Tonaufnahme/-wiedergabe, Radio, Kinofilme und Offsetlithografie sich in der Praxis durchsetzten und allgemein erhältlich waren.
Auch die Fotografie war nicht neu, aber Sicherheitsfilme und kleine Kameras, insbesondere die Leica, machten die Fotografie einer viel größeren Nutzerbasis zugänglich. Anders als fürs Zeichnen brauchte man für das Fotografieren keine jahrelange Ausbildung und Übung. Von allen Medien ging auf Papier das wenigste verloren. Ein fünf Fuß breites buntes Gemälde und ein fünf Zoll breites Schwarz-Weiß-Foto wurden gleichwertig, wenn man sie in fünf Zoll Breite in Graustufen-Halbton vervielfältigte. Jedes Bild wurde zum Foto, der ursprüngliche Maßstab war für den Betrachter nicht zu erkennen. Das Bild wurde vom Objekt getrennt. Die Fotografie musste für das Bauhaus erfunden worden sein.
Vielfalt des fotografischen Sehens
Unbewusst war die Fotografie zumindest hinsichtlich des Lehrplans in jeder Bauhauswerkstatt und bei jeder Veranstaltung vertreten. Alle Aktivitäten wurden dokumentiert, am gründlichsten von Lux Feininger, jedoch auch von anderen Studenten und Meistern, wodurch das Bauhaus viel mehr als andere Schulen zuvor eine visuelle Geschichte erhielt. Der forscheste Anwalt der Fotografie in der ganzen Fakultät war László Moholy-Nagy, der von 1923 bis 1928 unterrichtete. Seine Analyse der Fotografie und ihrer Rolle in Kunst und Design übten während seiner gesamten Amtszeit großen Einfluss aus. Ein Plädoyer für die Fotografie verfasste Moholy-Nagy in einer etwa 1925 zum ersten Mal erschienenen Streitschrift, die 1927 in einer weiterentwickelten zweiten Auflage unter dem Titel Malerei, Fotografie, Film, Bauhaus Buch Nr. 8, veröffentlicht wurde. Dieses Buch behandelt eine Reihe von Themen, von denen allerdings zwei besonders hervorzuheben sind.
Das erste ist die Untersuchung des Lichts als ein neues Medium des Ausdrucks. Licht war nach Ansicht Moholy-Nagys das Wesentliche der Fotografie. Das Buch begibt sich auf die Spuren des Fotogramms - Malen mit Licht, der Lichtmodulator (zur Aufnahme der von Licht und Schatten in der Welt geschaffenen Formen), bewegliches Licht (Licht in kinetischer Skulptur), öffentliche Multimedia-Ereignisse (Film und Mehrfachprojektionen von Film und modulierten Buntlichtquellen auf Stoff, Nebel und Wolken in Verbindung mit Ton). Farbe war ein Teil davon, aber erst später technisch möglich, als Moholy-Nagy behauptete, dass seine New Vision sich vom Chiaroscuro (dem Fotogramm) zu Farbe, von Farbpigment zu Farblicht, und von Farblicht zu Farblicht in Bewegung entwickelte.
Das zweite ist die Behauptung, dass in der Untersuchung der traditionellen Fotografie und der in den illustrierten Magazinen der Zeit – Berliner Illustrierte Zeitung, Arbeiter-Illustrierte-Zeitung, Münchner Illustrierte Presse, Survey Graphic, etc. – veröffentlichten kommerziellen Fotografien eine neue Basis des Bildermachens zu finden ist. Aus diesen Quellen und Fotografien von Künstlern wie Man Ray beginnt Moholy-Nagy, eine Landkarte der neuen Bildgebung anhand von Strategien zu erstellen, die im bis dato bekannten Kunstbegriff nicht existierten oder nur selten genutzt wurden.
All diese Elemente gibt es in der Malerei, in der Fotografie und im Film, sie sind jedoch nicht nach Kategorien gekennzeichnet: Fotogramm, Farblichtorgane, Negative, Lichtmodulatoren, durch lange Belichtungszeit entstehende virtuelle Körper, sehr kurze Belichtungszeiten zum Anhalten von Bewegungen, Froschperspektiven, Vogelperspektiven, transparente Überlagerung, Wiederholung mit Variation, Röntgenstrahlung, optische Tricks und Täuschungen. Später, in den Telehor-Bänden 1 & 2, kodifizierte er diese als die acht verschiedenen Arten des fotografischen Sehens. Dies waren die Methoden, die es möglich machten, die einzigartigen Eigenschaften des Mediums des Ausdrucks zu erkunden.
Die Lehre der Fotografie
Bis 1929 wurde Fotografie im Bauhaus formal nicht unterrichtet, danach von Walter Peterhans, dessen ästhetische Theorien (und unglaublich schönen Stillleben) sich sehr von dem unterschieden, woran Moholy-Nagy dachte. Als Moholy-Nagy 1937 in Chicago das New Bauhaus gründete, schloss er die Fotografie als Lichtwerkstatt in die Gründung ein. Zunächst wurde sie von Gyorgy Kepes gelehrt, seinem Landsmann und Mitarbeiter, und der Studiengang basierte auf den Acht Arten des abstrakten fotografischen Sehens.
Die Studenten des New Bauhaus wurden, wie die des Vorgängers, so ausgebildet, dass sie in der Industrie tätig sein konnten, aber so wie die Bauhaus-Studenten außerhalb der Vorlesungen an der Staffelei malten, so versuchten auch die Studenten des New Bauhaus, ihre Ausbildung für künstlerische Zwecke anzuwenden. Dies galt besonders für die Fotografie. Nach Moholy-Nagys Tod 1946 ging die Fotografie-Komponente des Studienprogramms in eine Art Schule in der Schule über, die bekanntermaßen von Arthur Siegel, Harry Callahan und Aaron Siskind geleitet wurde. Diese Lehrer übernahmen Moholy-Nagys Methoden, hatten am breiteren Design-Programm jedoch wenig Interesse. Sie waren Künstler, die die Camera Vision fortsetzten und sich durch das Lehren unterstützten.
Ihre fortgeschrittenen Studenten im Studiengang, der 1951 begann, verfolgten den gleichen Weg, ermächtigt durch die enorme Ausbreitung der fotografischen Ausbildung in den Vereinigten Staaten von 1960 bis 1985, und unterstützt von einer Reihe neuer Magazine, Galerien und Museumsabteilungen, die sich der Kunstfotografie widmeten. Dies erwies sich langfristig als unhaltbares Modell.
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Über John Grimes
John Grimes ist emeritierter Professor am IIT Institute of Design in Chicago, wo er Kurse in interaktiven Medien, Softwaredesign, Visualisierung von Informationen und Imaging lehrt. Er ist Experte für die Geschichte und Entwicklung der Fotografie.
Wetteifer um Aufmerksamkeit
Die Geschichte der Fotografie ist mehr die Geschichte fotografischer Bücher als die der Herstellung, des Verkaufs und der Sammlung einzelner Werke. Das Buch war der wichtigste Kanal, über den Bilder ihr Publikum erreichten. Die Absolventen des New Bauhaus, welches 1944 in Institute of Design umbenannt wurde, sind in Relation zur Anzahl von Veröffentlichungen von Kunstfotografien stark überrepräsentiert.
Heute ist das Internet ein mächtigeres und wohl auch wichtigeres Mittel, das Publikum für visuelle Werke zu erreichen, und die Probleme von heute konzentrieren sich nicht auf die Schaffung einzelner Bilder oder der gedruckten Seite, sondern darauf, wie man die Flut von Bildern, Text, Ton und Kinematik im digitalen Ozean des World Wide Web kontrollieren kann. Zudem geht es in dieser neuen Arena auch um Nutzer-Interaktion, eine ganz andere Art, die Nutzererfahrung zu strukturieren. Weil das Internet bei allen neuen Technologien nicht auslöscht, was zuvor war, sondern es vielmehr unter aktuellen Bedingungen neu definiert. Was einst als neue Kunstform gedacht war, wird besser als Kunstbewegung begriffen.
In dem Zeitalter, in dem der Druck die Vorgaben machte, hatten Kunstfotografien die Größe und Farbe (fast immer Graustufen) der bedruckten Seite. Später nahmen sie die Größe und Farbtöne eines Farbfernsehgeräts an. In der aktuellen Umgebung haben Fotografien von Künstlern die Größe von Kunst eingenommen, um an der Galeriewand Aufmerksamkeit heischen zu können, und den Bezug zur gedruckten Seite gibt es nicht mehr. Der Druck ist noch nicht ganz tot, und das Medium der Fotografie als einzigartige Form der Recherche wird immer noch gezeigt und gesammelt.
Heute findet man fotografische Drucke in den wichtigsten Galerien eines Museums, welches sich mit den Belangen der zeitgenössischen Kunst beschäftigt und die Ausbeutung der einzigartigen Qualitäten des Mediums des Ausdrucks ignoriert. Kunstfotografien finden sich auch in der Fotografie-Abteilung der Museen, in denen die Vision der Kamera dominiert. Das ist nicht die gleiche Art Fotografie.
[JG 2019]