Immer ein Teil der Gegenwart

Das Netzwerk Gropius

Kein Name fällt beim Thema Bauhaus so häufig wie Walter Gropius. Dieser Umstand ist kein Zufall. Ein wesentliches Geheimnis seines nachhaltigen Erfolgs ist das effektive Netzwerk loyaler Mitarbeiter und Freunde, das der Bauhaus-Gründer weit über das Ende seiner Hochschule hinaus am Leben erhielt und pflegte.

Foto: Kurt Eppler/ WKV Archiv
Rede von Walter Gropius an die protestierenden Studenten der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm, Eröffnung der Ausstellung "50 Jahre Bauhaus in Stuttgart" 1968

Zur Autorin

Magdalena Droste (Berlin) ist emeritierte Lehrstuhlinhaberin für Kunstgeschichte an der BTU Cottbus. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berliner Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung.

Anfang

Walter Gropius gründete das Bauhaus 1919 und leitete es ganze neun Jahre lang. Auf diese Weise prägte er die Schule wesentlich stärker als Hannes Meyer (zwei Jahre) und Ludwig Mies van der Rohe (drei Jahre). Doch anders als seine beiden Nachfolger setzte sich Gropius auch nach seiner Bauhaus-Zeit aktiv für die Idee der Schule ein. Mehr noch: Er sammelte ein starkes und stabiles Team von Partnern, Freunden und Mitarbeitern um sich, mit dem er sich zeitlebens für das Bauhaus und sein Vermächtnis engagierte. Dieses Team lässt sich als globales Netzwerk beschreiben.

In der reichen Korrespondenz der einzelnen Mitglieder des Netzwerks fällt besonders die große Anpassungsbereitschaft und der Wille zum Erfolg auf. Ein wichtiges Charakteristikum der „Londoner Gruppe“, wie Wassily Kandinsky sie einmal nannte, ist die Tatsache, dass ihre Mitglieder nicht auf Einladungen und Anstöße von außen warteten, sondern selbst immer wieder aktiv Vorschläge und Initiativen lancierten.

Gropius besaß zweifellos Organisationstalent und Führungsqualitäten. Schon vor der Gründung des Bauhauses sprach er von „kleinen Bünden“, die Geheimhaltung pflegten, um ihre Gemeinschaft zum Erfolg zu führen. Sie sind sozusagen die geistigen Vorläufer jenes Netzwerks, das Gropius dann als Direktor des Bauhauses aufbaute. Doch wer gehörte zu diesem Netzwerk?

 

Am Bauhaus 1919–28

1923 heiratete Walter Gropius (1883–1969) die 14 Jahre jüngere Ilse Frank (1897–1983), die spätere Ise Gropius. Seine Frau war keine Künstlerin, doch sie identifizierte sich sofort mit dem Projekt „Bauhaus“. Als exzellente Organisatorin führte sie die immer größer werdende Korrespondenz. Der Doppelschreibtisch im Meisterhaus von Walter und Ise Gropius war das symbolische Zentrum für die gemeinsame Arbeit dieser persönlichen und professionellen Partnerschaft.

1923 stieß der aus Ungarn emigrierte Bauhausmeister László Moholy-Nagy (1895–1946) hinzu. Der Maler, Fotograf, Filmemacher, Werbegrafiker und Theoretiker moderner Kunst galt als Workaholic. Moholy-Nagy initiierte die erfolgreiche Reihe der Bauhausbücher, die ab 1924 erschienen, und die erste Nummer der Bauhauszeitschrift, die anlässlich der Eröffnung des Dessauer Neubaus im Dezember 1926 aufgelegt wurde. 

Ein Trio ehrgeiziger junger Männer kam ab 1925 zum engeren Freundeskreis dazu: Sie hatten ab 1920 bzw. 1921 am Bauhaus studiert und sich als begabte Absolventen für Lehraufgaben qualifiziert. Herbert Bayer aus Österreich (1900–1985), Marcel Breuer aus Ungarn (1902–1981) und Alexander (Xanti) Schawinsky (1904–1979) aus der Schweiz. Am Bauhaus arbeitete Breuer als Möbeltischler, trieb die Entwicklung der Stahlrohrmöbel voran und hatte Ambitionen als Architekt. Herbert Bayer unterrichtete dort Werbegrafik und realisierte Ausstellungen, worin ihm der jüngere Schawinsky nachfolgte, der sich auch fürs Theater interessierte.

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Deutschland 1928–35

Alle drei verließen Dessau mit oder kurz nach Walter Gropius, und ihre ausländische Herkunft half ihnen dabei, die Bauhausidee im weiteren Verlauf ihres Lebens zu internationalisieren. Josef Albers, ebenfalls einer der Jungmeister (1888–1976), kooperierte ab 1933 kurzzeitig mit dem Gropiusnetzwerk. Schon als Student hatte er die Abwendung von Tradition und Vergangenheit auf die Formel „historisch oder jetzig?“ gebracht. Getreu diesem Motto wollte das Team um Gropius immer der Gegenwart angehören. 

Die soziale Struktur dieses Netzwerks veränderte sich über drei Jahrzehnte kaum: Gropius blieb der führende Kopf, alle duzten sich und die Hierarchien waren eher flach. Die Ehefrauen gehörten nicht oder nur am Rande dazu. Konkurrenzen und Konflikte der Mitglieder wurden von Gropius entschärft und nicht geduldet – selbst als eine jahrelange Liaison zwischen Herbert Bayer und seiner Gattin seine eigene Ehe massiv gefährdete.

Die Kompetenz in Sachen Modernität prägte das Team auch nach dem Verlassen der Schule. In den Jahren ab 1928 führte jeder sein eigenes Büro, aber persönlich blieb das Team durch Urlaube, Reisen, Besuche, Feste, Briefe und Liebschaften verbunden. Jenseits dieser privaten Interessen fand man sich aber immer wieder auch zur Erledigung gemeinsamer Arbeiten zusammen. Wie das Netz seinen Mitgliedern Aufträge verschaffte, zeigen insbesondere die Kooperationen bei den großen Ausstellungsvorhaben: die Schau des Deutschen Werkbundes in Paris 1930, die Baugewerkeausstellung 1931 und die Berliner Bauausstellung 1931 und sogar 1934 – im inzwischen nationalsozialistischen Deutschland.

Die Veränderungen, die Deutschland 1933 ereilten, markieren in der Geschichte dieses Netzwerks keine direkte Zäsur, denn schon ab 1930/31 begannen sich seine Mitglieder geografisch zu zerstreuen: Breuer reiste (teilweise mit Herbert Bayer) ab 1931 durch Südeuropa und Marokko, gründete 1933 ein Architekturbüro in Budapest und fand in der Schweiz Arbeit. Moholy-Nagy erledigte Aufträge in Deutschland, den Niederlanden und England. Herbert Bayer war mit der künstlerischen Leitung des Berliner Dorland-Filiale gut ausgelastet.

USA ab 1937

Nach Gropius’ Umzug in die USA fanden sich schon im Sommer 1937 Schawinsky, Moholy-Nagy, Bayer und Breuer zu gemeinsamen Tagen mit dem Ehepaar Gropius am Strand in Planting Island (Massachusetts) vereint. Nie schienen die Bindungskräfte des Netzwerks stärker als in diesen Krisen und Übergangsjahren, denen bald der Zweite Weltkrieg folgen sollte.

Im New Yorker Museum of Modern Art konnte 1938 eine (anfangs umstrittene) Ausstellung zum Bauhaus organisiert werden, deren Wirkungen langfristig von Bedeutung sein sollten. Katalog und Ausstellung enthielten die Abteilung „Spread of the Bauhaus Idea“, in der Albers und Moholy-Nagy Schülerarbeiten aus dem Black Mountain College und dem New Bauhaus in Chicago als Fortsetzung des Bauhauses ausstellen konnten. Gropius selbst bot die Schau erstmals die Gelegenheit, jene Idee zu verbreiten, wonach das Lehrkonzept des Bauhauses zeitlos sei. Und Herbert Bayer, der die Umsetzung der Ausstellung weitenteils im Alleingang besorgte, fand damit den Start für eine neue Karriere als Gebrauchsgrafiker in den USA.

Nach 1945

Erst nach 1945 wurde das Netzwerk nachhaltig geschwächt. Schon 1941 hatte sich Marcel Breuer von Gropius und dem bis dahin gemeinsam geführten Architekturbüro getrennt. Moholy-Nagy starb 1946 unerwartet früh. 1947/48 kam es zum Bruch mit Schawinsky. Herbert Bayer, motiviert durch eigene Erfolge, wollte von seinem Übervater Distanz gewinnen. Den Einsatz von Gropius für „sein“ Bauhaus konnte das nicht stoppen: Nach dem Krieg war die Autorität des Harvard-Professors im Städtebau der jungen Bundesrepublik enorm.

Gropius hatte daneben schon früh mit der Musealisierung seines reichen Privatarchivs begonnen und mit Schenkungen einerseits das Busch-Reisinger-Museum in Cambridge und andererseits das neu gegründete Bauhaus-Archiv in Darmstadt (später: Berlin) bedacht. Zu den späten Höhepunkten in Gropius’ Leben gehörte zweifellos die vor genau 50 Jahren eröffnete Ausstellung zum 50-jährigen Gründungsjubiläum der Schule, die erneut Herbert Bayer mitkuratierte und für die er Katalog und Plakat entwarf.

Von Stuttgart aus reiste die Schau bis 1971 um die Welt und legte damit den Grundstein für jene globale Anerkennung, mit der heute auf die 100-jährige Geschichte des Bauhauses zurückgeschaut wird. Die Strategie von Walter Gropius, immer Teil der Gegenwart zu bleiben, ist damit letztlich aufgegangen.

Headline

Der Text fasst die Ergebnisse eines DFG-Forschungsprojekts zusammen, dessen weitere Mitglieder neben Magdalena Droste Patrick Rössler und Anke Blümm sowie die Mediendesigner Andreas Wolter und Jens Weber sind.

Dieser Artikel stammt aus der zweiten Ausgabe des Magazins „bauhaus now”.

    [MD 2018]

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    Bauhaus-Archiv Berlin / VG Bild-Kunst, Bonn 2016
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