Küchen(t)räume

Neues Wohnen

Die Mutter der Einbauküche, Margarete Schütte-Lihotzky, wäre 2017 120 Jahre alt geworden. Anlass für eine Spurensuche, was es mit ihrer Frankfurter Küche auf sich hat und wie sie zu derartiger Berühmtheit gelangte.

Foto: Reinhard Wegmann
Frankfurter Küche im ernst-may-haus, Frankfurt am Main, Foto: Reinhard Wegmann

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Die aktuell modernen Kochinseln mit allerlei smarten Funktionen und die großen Esstische, an denen man sich für gesellige Kochabende versammelt, lassen die Frankfurter Küche aus dem Jahr 1926 aus heutiger Sicht nicht unbedingt als einen Küchentraum erscheinen. Doch damals war diese Küche ein Novum und zwar derart, dass eine Bedienungsanleitung über dem Herd die Hausherrin in die neuen Annehmlichkeiten ihrer bis ins Detail durchgeplanten Küche einführen sollte.

In den 1920er Jahren waren die Frauen noch immer „dazu verdammt, ihren Haushalt, einige wenige Erleichterungen ausgenommen, (...) so zu führen wie zu Großmutters Zeiten.“ [1] Doch die Zeiten hatten sich geändert und viele Frauen, vor allem aus bürgerlichen Kreisen, waren nun berufstätig. Daher beschäftigte sich Margarete Schütte-Lihotzky schon früh mit der Frage, wie richtiger Wohnungsbau die Hausarbeit erleichtern könne. Anregungen gaben ihr die Studien der amerikanischen Forscherin Christine Frederick, deren Buch „The New Housekeeping Efficiency Studies“ ab 1921 in deutscher Übersetzung vorlag.

Aus: Ch. Frederick, Die rationelle Haushaltsführung, Berlin 1922
Christine Frederick analysierte Arbeits- und Bewegungsabläufe im Haushalt, zerlegte diese in einzelne Arbeitsschritte und erzielte auf diesem Wege Einsparungen an Schritten und Griffen, aber auch an Grundfläche. Aus: Ch. Frederick, Die rationelle Haushaltsführung, Berlin 1922.

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Ernst May, der Margarete Schütte-Lihotzkys Arbeit im Wiener Wohnungsbau kannte, holte sie 1926 in sein Team am städtischen Hochbauamt Frankfurt am Main. Dort entwarf sie für die Siedlungen des Neuen Frankfurts eine effiziente, platzsparende Küche mit einer einfachen, kostengünstigen und vor allem hygienischen Ausstattung. Diese wurde in den folgenden Jahren in verschiedenen Varianten und Lackierungen in mehr als 10.000 Wohnungen des Neuen Frankfurts eingebaut.

Foto: Armin Herrmann
“Frankfurter Küche” in der Schausammlung des Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin. Diese Küche stammt aus der Siedlung Römerstadt, Frankfurt a.M., 1927/28. Rechts neben der Tür ist das typische ausklappbare Bügelbrett zu sehen, das für die Benutzung auf der Spüle auflag. Foto: Armin Herrmann

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Durch die Optimierung der Arbeitswege, den Verzicht auf einen zusätzlichen Essplatz in der Küche und eine effiziente Planung der Einbauten (Verzicht auf Rückwände, gemeinsame Seitenwände und eine durchgehende Arbeitsplatte) konnte die Küche auf eine minimale Größe begrenzt werden. Die nacheinander zu verrichtenden Arbeitsschritte waren nun in einer Reihe organisiert, so dass überflüssige Schritte von einer Seite der Küche zur anderen entfielen. Jetzt musste Frau sich lediglich umdrehen, die Schütte mit dem Mehl oder dem Salz greifen und einfach dosiert in den vor ihr brodelnden Kochtopf geben. Dieser konnte anschließend bequem auf der Kochkiste neben dem Herd abgestellt werden oder – noch raffinierter – in dieser isolierten Kochkiste selbst verstaut werden, um am Abend nach getaner Arbeit das fertig gegarte Essen direkt auf den Tisch zu servieren. Soweit die Vorstellungen der Architektin von den idealen Bewegungsabläufen in einer Küche.

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Wie die Frankfurter Küche tatsächlich genutzt oder später mit dem Einzug von Kühlschrank und Co. durch die Bewohner verändert oder angepasst wurde, haben in den 1980er Jahren der Architekturhistoriker Jonas Geist und der Kulturwissenschaftler Joachim Krausse untersucht und in einer wunderbaren Filmreihe festgehalten, in der auch Margarete Schütte-Lihotzky und Zeitzeugen zu Wort kommen. „Es war nicht einfach für viele Leute, sich vorzustellen, wie soll man sich da drin bewegen? Die ist ja so klein, das war der Haupteinwand. Denn die Küchen in den Häusern damals waren ja als Wohnküchen gedacht, und da konnte man sich drin bewegen. In der Frankfurter Küche war ja alles streng nach Arbeitsabläufen geordnet. Und da mussten sich die Leute erst dran gewöhnen." [2]

Vorträge, Veröffentlichungen und Ausstellungen machten die Vorteile der neuen Frankfurter Küche publik und erweckten auch im Ausland Aufmerksamkeit. 1936 hielt Margarete Schütte-Lihotzkys Küchenentwurf Einzug in Ernst Neuferts „Bauentwurfslehre“ und fand in diesem Standardwerk weltweit Verbreitung. Als Vorläuferin der heutigen Einbauküche war sie mit einer einheitlichen Gestaltung und Aneinanderreihung der Funktionen wegweisend – wenn auch ihre Elemente nicht beliebig kombiniert und an verschiedene Küchenräume angepasst oder ergänzt werden können, wie man das heute kennt.

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Offen bleibt die Frage, wie Margarete Schütte-Lihotzky angesichts von Lieferdiensten, Fertiggerichten, Thermomix und Co. eine Küche nach heutigen Bedürfnissen konzipieren und optimieren würde. Ein Arbeitslaboratorium, als das sie die Küche einst beschrieben hatte, wäre sie wohl nicht mehr. Erst unlängst stellte Gerhard Matzig fest, dass die Küchen heute zwar immer größer werden, aber immer weniger in ihnen gekocht wird. [3] Auf seine scharfzüngige Betrachtung aktueller Küchen(t)räume sei an dieser Stelle mit einem Augenzwinkern verwiesen.

Weiterführende Links

    [NO 2017]

    1. [1] Grete Lihotzky, „Rationalisierung im Haushalt“, Das neue Frankfurt, Nr. 5 (1926-27), S. 120-23.
    2. [2] Interview mit Ludwig Rössinger am 30.9.1982, Folge 1 der Fernsehfilmserie „Das Neue Frankfurt“, 3 Filme von J. Geist und J. Krause, WDR, Köln 1985 – zitiert nach: Die Frankfurter Küche . Eine museale Gebrauchsanweisung. Herausgegeben vom Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin und Renate Flagmeier, Berlin 2012, S. 26
    3. [3] Gerhard Matzig „Hells Kitchen“ in: Süddeutsche Zeitung vom 22. September 2016
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