Einfach kein Sinn für Ästhetik?

Internationale Moderne: Frankreich

Anlässlich der Wahl des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron lenken wir unseren Blick nach Frankreich. Wurden dort die bahnbrechenden ästhetischen Ideen des Bauhauses zur Zeit seines Bestehens wahrgenommen und welchen Einfluss hatten sie?

LStrike. Lizenziert unter Wikimedia Commons. CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/ https://de.wikipedia.org/wiki/Villa_Savoye#/media/Datei:Villa_Savoye_2015.jpg
Ville Savoye, 2015 (Erbaut 1928 bis 1931)/ Architekten: Le Corbusier ( 1887-1965) und Pierre Jeanneret (1896-1967) Foto: LStrike

headline

Die vierzehnjährige Geschichte des Bauhauses kennzeichnet sowohl seine rasche Bekanntheit als auch die Ernüchterung bei der oft schwierigen Durchsetzung seiner ambitionierten Ziele. Ikonen der Moderne wie die Weiße Stadt in Tel Aviv oder Bildungseinrichtungen wie das New Bauhaus in Chicago (heute das Illinois Institute of Design) sind nur eine kleine Auswahl der internationalen Folgen der Schließung des Bauhauses durch die Nationalsozialisten. Weniger bekannt ist allerdings, welches Urteil und welche Wirkung die Ideen des Bauhauses in Frankreich zu jener Zeit fanden.

Dies ist umso erstaunlicher, als die deutsch-französischen Kunstbeziehungen nach der Unterbrechung des Ersten Weltkriegs wieder intensiver werden. Das Interesse deutscher Kunstsammler, -händler und  -kritiker und Museumsdirektoren an der französischen Moderne richtet sich auf die künstlerischen Strömungen vom Kubismus bis zum Surrealismus. In den deutschen Kunst- und Architekturzeitschriften wird regelmäßig über sie berichtet.[1]

Auch auf französischer Seite finden sich Rezensionen und Artikel über deutsche Kunst, jedoch deutlich seltener; ihre Autoren sind keine französischen Kenner der deutschen Kunstszene, sondern deutsche Autoren. „Es scheint, als sei die französische Kultur stärker in sich geschlossen, auf ihre eigene Tradition bedacht und für Berührungen mit anderen Kunstauffassungen, zumal in einer Epoche nach der katastrophalen kriegerischen Auseinandersetzung, weniger empfänglich gewesen.“[2] So wird verständlich, weshalb die Eröffnung des Bauhauses, „eines letztlich antiakademischen Unternehmens der Kulturerneuerung“[3], in Frankreich kaum wahrgenommen wurde. 

In den letzten 15 Jahren der wissenschaftlichen Forschung verstärkten sich jedoch die Hinweise, dass die Existenz des Bauhauses durchaus wahrgenommen wurde, auch wenn es keine weitreichende Rezeption des Bauhauses in Frankreich zu geben schien.[4] Häufig erschwerten Vorurteile über den ehemaligen Kriegsgegner den Zugang zur künstlerischen Tradition der jungen Weimarer Republik. Den Deutschen wurden von französischer Seite Erfindungsgeist, Disziplin und wirtschaftliche und industrielle Tüchtigkeit attestiert, aber über reine Nützlichkeit hinaus hätten sie einfach keinen Sinn für Ästhetik.[5]

Zwei verschiedene Wege

Die unterschiedlichen Traditionen und verschiedenen gesellschaftlichen Voraussetzungen hatten in beiden Ländern zu geradezu gegensätzlichen Wegen in die Modernität geführt. Während seit der Gründung des Werkbundes 1907 Kunst und Industrie einen gemeinsamen Weg suchten, blieben in Frankreich jene beiden Bereiche weitgehend getrennt. In Frankreich wurde das individuell gestaltete handwerkliche Meisterstück hoch geschätzt, während am Bauhaus für den Handwerker eine Methode der künstlerischen Ausbildung für den einfachen Gebrauchsgegenstand entwickelt wurde.[6]

Aus diesem Grund wurden Neuerungen, die wie der Kubismus mit den geläufigen ästhetischen Gewohnheiten brachen, als unfranzösisch betrachtet. Besonders in den Jahren der politischen Anspannung vor dem Ersten Weltkrieg wurde dies als deutscher Versuch interpretiert, die französische Kultur zu zerstören.[7]

headline

Umso faszinierender ist es, zu sehen, dass die Begegnungen zwischen Künstlern der beiden Länder nicht aufzuhalten waren, auch wenn das politische Umfeld jener Zeit keine günstigen Voraussetzungen für einen Ideenaustausch schuf. Sie waren sensibel, neugierig und bereit zu gegenseitiger Anregung. Der geistige Austausch zwischen Walter Gropius und Le Corbusier ist ein Beispiel dafür, wie über Traditionen und Grenzen hinweg ein Austausch über die jeweiligen künstlerischen Visionen geführt wurde.

Foto: © Tillmann Franzen, tillmannfranzen.com © F.L.C. / VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Erste Berührungen

Im Dezember 1923 erscheint in „L’Esprit Nouveau“, der von Le Corbusier, dem Dichter Paul Dermée und dem Maler Amédée Ozenfant in Paris herausgegebenen französischen Architekturzeitschrift, eine zweiseitige, nicht unterzeichnete Rezension des Bauhauskataloges vom Sommer desselben Jahres unter dem Titel „Pédagogie“ (die Lehrmethode).

Dieser Artikel, der mit ziemlicher Sicherheit aus der Feder Le Corbusiers stammt[8], ist die erste nennenswerte Reaktion Frankreichs auf das Bauhaus[9] und zeigt die Haltung jener Zeit: So begrüßt er die Absicht des modernen Konzepts des Bauhauses, betitelt es als „magnifique album“[10] und zollt ihm höchste Anerkennung. Gleichzeitig aber sieht er grundsätzliche Unterschiede hinsichtlich der Bewertung des Handwerks in Bezug auf das Verhältnis zwischen Entwurf und Ausführung und ist „irritiert vom handwerklichen Programm des Bauhauses und dessen Nähe zum Kunstgewerbe”[11].

headline

Tatsächlich präsentiert der nach Frankreich gesendete Bauhaus-Katalog mit dem Titel „Idee und Aufbau des Staatlichen Bauhauses Weimar“ trotz der architekturbezogenen Einleitung Walter Gropius’ überwiegend Erzeugnisse der unterschiedlichen Werkstätten, sodass Le Corbusiers Polemik – es handele sich um eine „école d’art decoratif“ (Schule der dekorativen Kunst)[12] – durchaus nachvollziehbar erscheint. Auch bauhausintern wurde der hohe Anteil der Werkstätten kritisiert und Gropius selbst drängte auf eine stärkere Präsenz der Architektur am Institut.

An einem Antwortbrief Walter Gropius’ an Le Corbusier aus dem Jahre 1924, in dem er dessen Buch „Vers une architecture“ (in dem er fünf Prinzipien für eine „Architektur der klaren Linie“ entwickelt) kommentiert, lässt sich die gegenseitige Hochachtung, aber auch innerliche kollegiale Verbundenheit erkennen. So schreibt Gropius: „Ich muss Ihnen gestehen, dass ich mich Ihnen sehr Bruder fühle, wenn Sie auch im Wesentlichen gegen meine Bauhaus-Intentionen Stellung genommen haben. Ich habe noch keine Veröffentlichung gelesen, die im Grundkern dem so nahekommt, was ich selbst gedacht und geschrieben habe, als Ihr Buch. […] Ich fühle mich Ihnen Hand in Hand und warte mit immer größerem Interesse auf Ihre Veröffentlichungen.“[13]

Gropius selbst erhielt seit 1921 durch die Vermittlung des deutschen Kunsthistorikers Hans Hildebrandt Kenntnis von Le Corbusiers Tätigkeit in Frankreich[14], und ab 1922 berichteten Kunstkritiker wie Paul Westheim und Adolf Behne über das französische Architekturschaffen[15], sodass Gropius’ Interesse geweckt war: Das Bauhaus in Weimar abonnierte schon 1922 das Magazin „L’Esprit Nouveau“.

Erste Auseinandersetzung

Ein erstes sichtbares Zeichen einer kreativen Auseinandersetzung des Bauhauses mit den zeitgenössischen Aktivitäten Frankreichs, bei denen vor allem Le Corbusier im Mittelpunkt stand, fand seit Beginn des Jahres 1922 statt.[16] Interessant ist in diesem Zusammenhang der von Walter Gropius verfasste Text mit dem Titel „Wohnmaschinen“ von 1922. [17] Anhand dieses Textes zeigen sich deutliche Parallelen zu dem von Le Corbusier 1921 in „L’Esprit Nouveau“ veröffentlichten Artikel „Des yeux qui ne voient pass...les paquebots“ („Augen, die Passagierschiffe nicht wahrnehmen“). [18]

headline

In ihm verwendete Le Corbusier erstmals den Begriff „machine à demeurer“ (Wohnmaschine), der seit seinem Buch „Vers une architecture“ in leicht veränderter Form als „machine à habiter“ in die Architekturgeschichte einging.[19] Die Frage nach der geistigen Urheberschaft dieses Wohnmaschinenkonzepts zwischen Le Corbusier und verschiedenen Bauhäuslern, – wie z. B. Oskar Schlemmer, der 1922 „statt Kathedralen die Wohnmaschine“ forderte [20] – ist bereits verschiedentlich dargestellt worden.[21] Alle diese Studien haben eine gemeinsame Aussage: Von den Auseinandersetzungen am Bauhaus mit Le Corbusier gingen wichtige Impulse aus, die für die weitere Entwicklung der Konzeption von Architektur am Bauhaus und in Frankreich eine wichtige Rolle spielten.

Drei kurze, selten gezeigte Dokumentarfilme von 1930 verdeutlichen die neuen städtebaulichen Herausforderungen des Bauens der französischen Künstler Le Corbusier und Pierre Jeanneret, Perret Brother und Robert Mallet Stevens im Frankreich jener Zeit.

Foto: Still aus dem Film „Le Corbusier en Bogotá, Plan Director 1947-1951”
Le Corbusier, Foto: Still aus dem Film „Le Corbusier en Bogotá, Plan Director 1947-1951”

headline

Inhalt von Vimeo laden

Datenschutzhinweis

Wenn Sie unsere Vimeo-Videos abspielen, werden Informationen über Ihre Nutzung von Vimeo an den Betreiber in den USA übertragen und unter Umständen gespeichert.

Architecture d’aujourd’hui (1930), Regie: Pierre Chenal

Ein weiterer Schritt der Annäherung und Akzeptanz

Mit der Einladung des Deutschen Werkbundes zur Teilnahme an der Ausstellung der „Société des artistes décorateurs Francai” im Mai 1930 näherte man sich von beiden Seiten weiter an. Diese Einladung war aus künstlerischer Sicht für den Werkbund von hohem nationalen und internationalen Prestige, sondern vielmehr für die deutsche Reichsregierung. Der ehemalige Kriegsgegner Deutschland war noch fünf Jahre zuvor von der Teilnahme an der großen Pariser Ausstellung „Expostion internationale des Arts décoratifs et industriels modernes” ausgeschlossen worden, worüber Deutschland allerdings zu jener Zeit nicht allzu unglücklich war, da damals von politischer Seite noch der Wille fehlte, die deutsche Beteiligung finanziell zu unterstützen.[22]

Als dann, nach der Lösung etlicher Schwierigkeiten und Hindernisse die „section allemande” bei der Ausstellungseröffnung am 14. Mai 1930 tatsächlich komplett eingerichtet war, wurden mit dieser Präsentation auch Ideen des Bauhauses ausgestellt. Ihre schwerpunktmäßige Aussage war die inhaltliche Verknüpfung von kultureller Leistung und Formentwicklung. „Sie sollte im Wesentlichen zeigen, was Deutschland auf dem Gebiet des Kunstgewerbes, insbesondere der formschönen Standardware, zu leisten vermag und welchen Anteil es an der Formenentwicklung des letzten Jahrzehnts genommen hat.“[23]

Auswirkungen

Natürlich blieben jene ästhetischen Einflüsse des Bauhauses nicht unbemerkt und inspirierten französische Künstler der unterschiedlichsten Gewerke. Zusammen mit seinem Cousin Pierre Jeanneret hatte Le Corbusier 1922 ein Architekturbüro in Paris gegründet. Von dort lancierte er mit seinem Cousin Bauprojekte in verschiedenen Ländern. Unter gemeinsamer Ägide errichteten sie von 1923 bis 1924 die Villa Le Lac in Corseaux am Genfer See für seine Eltern, die er liebevoll „une petite maison“ nannte, und drei Jahre später die beiden Häuser für die Bauausstellung des Deutschen Werkbunds 1927 in der Weißenhofsiedlung Stuttgart. Ihre Raumkonzepte verdeutlichen auch die Ideen des Bauhauses und haben große Attraktivität bis heute, sodass sie beide am 15. Juli 2016 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden.

headline

Kurz nach der Schließung des Berliner Bauhauses im Jahr 1933 bestiegen Le Corbusier und Walter Gropius mit Architekten aus aller Welt ein Kreuzfahrtschiff in Richtung Athen. Ziel war es, angeregt vom malerischen Ambiente des Mittelmeers und von mitreisenden Künstlern, die unterschiedlichen Erfahrungen mit der wachsenden Verstädterung der Welt zu diskutieren und Visionen der modernen Stadtentwicklung zu erörtern. Dieser schwimmende Architektenkongress, der Bauhäusler wie Vertreter anderer Schulen aufeinandertreffen ließ, legte den Grundstein zur „Charta von Athen“, die Le Corbusier später veröffentlichen sollte. Sie war ein programmatischer Thesen- bzw. Forderungskatalog mit 95 Leitsätzen zum Städtebau, der in der Nachkriegszeit große Bedeutung bei der Planung des Wiederaufbaus der vom Krieg zerstörten Städte gewann.

  1. [1] Vgl. Thomas W. Gaehtgens, Das Bauhaus und Frankreich. Hg. Isabelle Ewig, Thomas W. Gaehtgens und Matthias Noll, Akademie Verlag GmbH, Berlin 2002, S. IV - XIV.
  2. [2+3] Walter Gropius 1921 in: Das Bauhaus 1919–1933. Weimar, Dessau, Berlin und die Nachfolge in Chicago seit 1937. 3. Auflage, Bramsche 1962, S. 54 - 55.
  3. [4+5+6+7] Vgl. Thomas W. Gaehtgens, Das Bauhaus und Frankreich. Hg. Isabelle Ewig, Thomas W. Gaehtgens und Matthias Noll, Akademie Verlag GmbH, Berlin 2002, S. IV - XIV.
  4. [8+9] Vgl. Robert Scherkl, L’art du bien faire – Über die Evolution der Form zum Standard. In: Das Bauhaus und Frankreich. Hg. Isabelle Ewig, Thomas W. Gaehtgens und Matthias Noll, Akademie Verlag GmbH, Berlin 2002, S. 37 - 57.
  5. [10] Le Corbusier, zitiert nach: Robert Scherkl, L’art du bien faire – Über die Evolution der Form zum Standard. In: Das Bauhaus und Frankreich. Hg. Isabelle Ewig, Thomas W. Gaehtgens und Matthias Noll, Akademie Verlag GmbH, Berlin 2002, S. 39.
  6. [11+12] Robert Scherkl, L’art du bien faire – Über die Evolution der Form zum Standard. In: Das Bauhaus und Frankreich. Hg. Isabelle Ewig, Thomas W. Gaehtgens und Matthias Noll, Akademie Verlag GmbH, Berlin 2002, S. 39.
  7. [13] Brief von Walter Gropius an Le Corbusier, 17. März 1924, Fondation Le Corbusier (FLC) . Sig. E211, Bl. 15 - 16.
  8. [14+16+19] Vgl. Elke Mittmann, Beziehungsgeflechte in der Diskussion um internationale Architektur: Assimilation, Integration und Negation. In: Das Bauhaus und Frankreich. Hg. Isabelle Ewig, Thomas W. Gaehtgens und Matthias Noll, Akademie Verlag GmbH, Berlin 2002, S. 59 - 80.
  9. [15] Adolf Behne, Junge französische Architektur. In: Sozialistische Monatshefte, 58/1922, S. 512 - 519. Paul Westheim, Junge Baukunst in Frankreich. In: Wasmuths Monatshefte für Baukunst, 7/1922/23, S. 316 - 320.
  10. [17] Walter Gropius, Wohnmaschinen, Manuskript vom 6. April 1922, Bauhaus Archiv, Sig. GA 19/694.
  11. [18] Le Corbusier, Des yeux qui ne voient pass...Les paquebots. In: L’Esprit Nouveau, 8/1921, S. 845 - 855.
  12. [20] Tut Schlemmer (Hg.), Oskar Schlemmer. Briefe und Tagebücher, München 1958, S. 132.
  13. [21] Vgl. Karl-Heinz Hütter, Das Bauhaus in Weimar, Studie zur gesellschaftlichen Geschichte einer deutschen Kunsthochschule, Berlin 1976, S. 139; vgl. Winfried Nerdinger, Le Corbusier und Deutschland. Genesis und Wirkungsgeschichte eines Konflikts 1910 - 1933. In Arch+. Zeitschrift für Architektur und Städtebau, 90/1987, S. 82 - 83; Klaus Jürgen Winkler, In der Wiege lag noch kein weißer Würfel. Zur Architektur am frühen Bauhaus. In: Das frühe Bauhaus und Johannes Itten (Hg. v. Bauhaus-Archiv Berlin), Ausstellungskatalog anlässlich des 75. Gründungsjubiläums des Staatlichen Bauhauses in Weimar, Stuttgart 1994, S. 300.
  14. [22] Vgl. Winfried Nerdinger, Walter Gropius, Berlin 1985, S. 145.
  15. [23] Brief von Walter Gropius an Fritz Dach, 19. Februar 1930.

[AW/NF 2017]

Zum Seitenanfang