Auf der Tastatur des Bauhauses

Regina Bittner
Veröffentlichungsdatum: 10.2019

Im erkenntnistheoretischen Kontext einer fundamentalen Skepsis gegenüber dem herrschenden Wissenssystem strebte die Bauhausschule ein “Verlernen” an: Sie verwarf das konventionelle Lernen und propagierte stattdessen vorsprachliche, intuitive Zugänge. Es ging insofern nicht lediglich um neue Lernformen, sondern um einen vollkommen anderen Zugang zum Wissenserwerb.

Es ist eine Einladung zur Gastkritik: Bauhausstudierende sitzen gemeinsam mit ihrem Lehrer Josef Albers vor den an die Wand gepinnten Vorkursarbeiten: Objekte aus unterschiedlichsten Materialien, gefunden auf Streifzügen in Dessau und nun hier im Bauhausgebäude neu zusammengetragen, kombiniert und präsentiert.

Die Studierenden waren aufgefordert den Klassenraum zu verlassen und die Welt des Materials studieren, um danach mit geschärfter Aufmerksamkeit zurückzukehren in den Unterricht. Was als unbedeutende und unscheinbare Sache in der Peripherie des Blickes erschien, wurde plötzlich zu einem wertvollen Artefakt. Zusammengetragen nach konzentrierter Beobachtung im Feld, wurden die Materialkombinationen zum Gegenstand sorgfältiger Überlegungen. Der Raum der pädagogischen Reflexion war nicht der der Wörter, sondern hier trafen Muster und Strukturen in direkten Kontakt mit Materialien. Zu den Arbeitsweisen eines solchen Studiums gehörten Berühren, Zerreißen, Überlagern und Zusammenkleben.

Nicht die Wiedergabe von Wissen, die Anwendung von Regeln, auch nicht reine Intuition oder gefühltes Wissen interessierten den Lehrer, vielmehr ging es Albers um die Schulung aller Sinne, insbesondere der visuellen und motorischen Sinne. Mit diesem Herangehen schulte er das Fragen und Suchen, weckte Interesse für die Wahrnehmung des Materiellen und regte damit nicht zuletzt zum selbstständigen „Beobachten und Formulieren“[1] an.

Josef Albers formulierte es so:

 

 

„Wissen ist Macht. Ich verurteile diesen Satz als die gefährlichste pädagogische Irrlehre, wenn es auch viele nicht so verstehen wollen. Was ist ,Wissen‘? Nicht Können noch Kennen, nicht Sehen noch Schauen, weder Bauen noch Bilden. Es ist Besitz von sogenannten Fakten, die man teuer in Schulen und Büchern kaufen kann, sammelt und häuft, um sie zuerst im Examen wiederzugeben und, danach vielleicht auch, um etwas besser zu verstehen.[…] Ich empfehle statt ,Wissen ist Macht‘ für die Erziehung den Satz ,Sehen ist Kraft‘, und zwar Sehen im Sinnen des englischen ,seeing‘, was mehr schauen meint. Denn mir scheint eine visuelle schöpferische Erziehung eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit zu sein.“[2]

 

 

Wissen war ein Un-Wort am historischen Bauhaus. Schließlich bildete epistemologische Skepsis das Fundament des Staatlichen Bauhauses. Prägend für die Gründer als auch deren Studierende war die erschütternde Erfahrung des Ersten Weltkrieges: die zerstörerische Kraft maschineller Rationalität hatte zu einer Art Tabula Rasa-Situation geführt, die jeglicher Erfahrung und vorhandenem Wissen misstraute.

In diesen epistemischen Verhältnissen eines grundsätzlichen Skeptizismus gegenüber der bestehenden Wissensordnung verfolgte die Bauhausschule zunächst das „Entlernen“, die Aufgabe von konventionellem Wissen und die Förderung vorsprachlicher, intuitiver, kindlicher Zugänge. Es ging insofern nicht lediglich um neue Lernformen, sondern um einen vollkommen anderen Zugang zum Wissenserwerb. Insbesondere der Vorkurs – von Johannes Itten in Weimar eingeführt und von Josef Albers und László Moholy-Nagy im Dessauer Bauhaus fortgesetzt – war Reaktion auf diese Entwertung von Wissen.[3] In diesem Vakuum bot der Vorkurs ein Testfeld, einen Raum, um Erfahrungen zu machen durch Sensibilisierung der Sinne, durch haptischen Umgang mit unterschiedlichsten Materialien, durch körperliche und geistige Übungen zur Stabilisierung der Psyche.

Otti Berger – Bauhausstudentin und später eine der erfolgreichsten Textilkünstlerinnen – brachte diese Haltung des „Entlernens“ in einem Interview als Teil einer Umfrage zum Ausdruck, welche das Bauhaus Magazin 1928 mit Studierenden führte. Auf die Frage, wo sie vorher studiert oder gearbeitet habe, antwortete sie, „aus einer geistlosen Stätte der Überlieferung“. Gefragt nach ihren Erwartungen an das Bauhaus gab sie zurück: „um mich zu überwinden und das ich zu finden.“[4] 

Eine geistlose Stätte der Überlieferung? Es ging um den Bruch mit in Lernsituationen der historischen École des Beaux-Arts manifestierten Bildungskonventionen: dem Aktzeichnen, dem Naturstudium oder der Imitation von Formen der an römischen und griechischen Gipsstatuen geschulten westlicher als klassisch und universell gültig verstandener Schönheitsideale. Dieses Modell der Kunstausbildung beherrschte nicht nur die Akademien der westlichen Großstädte, sie wurden auch in die Metropolen der Kolonien exportiert. Schließlich war die Erziehung eine zentrale Säule des kolonialen Projekts der Behauptung kultureller Superiorität des Westens.[5] 

Dabei war das historische Bauhaus bereits Teil einer breiten Schulreformbewegung, die einen Paradigmenwechsel in der Kunstausbildung initiiert hatte: weg vom Lernen nach Konventionen und der Imitation tradierter Formenkanons, wie dies an den Kunstakademien gängige Praxis war, und hin zur Entfaltung der potentiell jedem zugesprochenen Kreativität und Phantasie als integraler Agenda einer demokratischen Gesellschaft. Der Kunsttheoretiker Thierry de Duve zieht das Fazit: Alle fortschrittlichen Pädagogiken dieses Jahrhunderts, von Fröbel über Montessori bis Decroly, alle Schulreformer und Bildungsphilosophen von Rudolf Steiner bis John Dewey gründeten ihre Projekte und Programme auf Kreativität, oder besser gesagt auf dem Glauben an Kreativität, auf der Überzeugung, dass Kreativität – nicht Tradition, nicht Regeln und Konventionen – der beste Ausgangspunkt für Bildung ist.[6]

 

Taktilität

 

 

„wir wollen keine bilder, sondern wir wollen zum bestmöglichsten, endgültigen, lebendigen stoff kommen![…] man muß ihn mit den ‚händen‘ begreifen können! Der wert eines stoffes ist im taktilischen, im tastwert erkannt werden[…]. man muss den geheimnissen des stoffes lauschen, den klängen der materialien nachspüren, man muss die struktur nicht nur mit dem gehirn erfassen, sondern mit dem unterbewußtsein erfühlen[…].“[7]

 

 

Bergers Plädoyer für die Bedeutung des Taktilen als Modus der Wissensgenerierung weist weit über das Medium des Textilen hinaus. Sie hatte bereits im Vorkurs bei Moholy-Nagy das Arbeiten mit und durch das Material erfahren. Dieser wiederum nahm ihre Tasttafel in sein die Lehre am Bauhaus zusammenfassendes Buch Vom Material zur Architektur auf. Das Buch ist auch eine pädagogische Programmschrift, in deren Zentrum die Frage nach der Findung eigenständiger schöpferischer Ausdrucksformen steht. „Primitive Tastübungen“ als Anfänge der Grundlehre seien gerade deshalb für die Bauhauserziehung so essentiell, weil, so Moholy-Nagy, „heute noch die meisten – fern von eigenen erlebnissen – ihre welt aus sekundären quellen aufbauen“.[8] Ein Argument welches sich auf die Formierung der materiellen Kultur der Industriegesellschaft bezog: Die Zusammenhänge zwischen Alltag, Gebrauch und Herstellung der materialen Umwelt wurden mit Mechanisierung, Massenproduktion und fordistischer Arbeitsteilung zunehmend abstrakter. Künstlich hergestellte Materialien und Stoffe sowie die massenhafte Verfügbarkeit industriell gefertigter Güter und neuer Medien auf der einen, zunehmende Mechanisierung und Ablösung menschlicher Aktivität und Kontrolle durch die Maschine auf der anderen Seite unterstützen die Erfahrung der Dematerialisierung und Verflüssigung der materiellen Verhältnisse.

Für das Bauhaus Dessau waren diese Entwicklungen eine Herausforderung: Schließlich ging es um die Ausbildung von Menschen, die in der Lage waren, solche Prozesse zu gestalten. Hier wurden diese abstrakten Dynamiken quasi in den Mikrokosmos der Schule übersetzt. So sind die am Bauhaus geführten Auseinandersetzungen um den Wandel menschlicher Apperzeption eine Momentaufnahme innerhalb dieses Diskurses um eine westliche moderne Kultur und Kunst dar.

In Tastübungen sollten die Bauhäusler auf Tuchfühlung mit unterschiedlichen sinnlichen Eigenschaften des Materials gehen: ihre Oberflächen, Temperaturen, Strukturen, Aggregatszustände und Stofflichkeiten erleben. Schließlich bestätigt die tastende Person beim Berühren nicht nur die Existenz der sie umgebenden Welt, sondern auch seine eigene Existenz. Moholy generiert aus den taktilen Materialstudien eine Terminologie, ein kategoriales System zur Beschreibung unterschiedlicher Materialformationen. Die Kategorien Struktur, Textur und Fraktur werden in Bildargumenten hergeleitet. Die Fotografien die hier zusammengestellt sind, stammen aus unterschiedlichen Kontexten und bildgebenden Verfahren: Mikroskopie, Luftbilder und Journalismus.

Auch Otti Bergers Artikel begleitet eine neusachliche Fotografie, die den Tiefenschichten des Materials auf den Grund geht. Ein Paradox angesichts der Tatsache, dass das Taktile im kulturellen Diskurs der 1920er-Jahre als Gegenentwurf zur Dominanz des Visuellen in der Moderne verhandelt wurde. Oder sind diese Bildargumente vielmehr Ausdruck einer Neustrukturierung der Wahrnehmungsverhältnisse zwischen Haptik und Optik? Der Streit um den Stellenwert von Wahrnehmungsweisen, visuell versus taktil, optisch versus haptisch, ist in seinem Kern eine Debatte um unterschiedliche Kulturen des Wissens.

Wieweit haben die am Bauhaus Dessau geführten Debatten um die Verhältnisse zwischen Optischem und Haptischem zu diesem hegemonialen kulturellen Deutungskomplex einer westlichen modernen Kultur beigetragen? Oder wirkte die Avantgardeschule eher an den Mischverhältnissen und Kontaktzonen zwischen Sehen und Begreifen?

Auch Josef Albers entwickelte in seinem Unterricht eine Terminologie zur Untersuchung von Materialeigenschaften: dabei unterschied er zwischen Material und Materie. Ersteres bezog sich auf die substanziellen Eigenschaften, letzteres auf die Oberflächenqualitäten, die äußere Erscheinung der Materialien.

Die Betonung des Studiums des Taktilen, Haptischen als gleichberechtigter Wissenssorte war dabei auch Reaktion auf die Dominanz des Visuellen in der Moderne. Das Taktile als das vermeintlich Andere – auch in Moholy-Nagys Buch finden sich Hinweise auf den besonderen Tastsinn der „Naturvölker“ – ist essentieller Bestandteil des Diskurses über eine westlich zivilisierte rationalisierte moderne Kultur, der, wie es der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme formuliert, „nicht nur in der Verknüpfung von Visualisierung und Wissenschaft, sondern noch stärker im Siegeszug der optischen Medien sich monopolhaft durchgesetzt hat.“[9] Galt das Taktile bisher als Refugium der Authentizität und Nähe – und dieses Verständnis des Taktilen oszillierte auch noch in den programmatischen Ansätzen des Bauhaus Vorkurses –, so schien sich mit dem 20. Jahrhundert das Taktile zu einer medientechnisch bedingten Wahrnehmungsweise zu verändern.

So ging es Albers und Moholy-Nagy in ihren Materialforschungen weniger um einen neuen Essenzialismus, vielmehr verstanden sie den Unterricht als Versuchsanordnung zur Erkundung der Neustrukturierung der Verhältnisse zwischen Sehen und Begreifen in der modernen durch neue Medien- und Wahrnehmungsverhältnisse geprägten Gesellschaft. Deshalb bilden Materialstudien und Fotogramme keinen Gegensatz, sondern dokumentieren Suchbewegungen zwischen unterschiedlichen Medien und Wahrnehmungsweisen: Moholy-Nagy versteht Fotografie als „Lichtgestaltung“ und betont dabei den produktiven Charakter der Operation: nicht Reproduktion, sondern Produktion in der Befassung mit optischen Effekten des Lichts. Deshalb hat der Begriff der Faktur – eingeführt bei der Materialstudien – auch in der Fotografie Geltung. Faktur erfasst dabei nicht nur die „materielle Textur sondern auch das sinnlich wahrnehmbare Ergebnis eines Prozesses.“[10] In seinem Kern ging es ihm schließlich darum, gemeinsam mit seinen Studierenden zu untersuchen, inwiefern Fotografie eine eigene Faktur – jene Spannung zwischen dem Materialen und Visuellen ausbilden kann. So stellen sich die Gestaltungsübungen im Vorkurs als Experimente zu Erkundung zeittypischer Modellierungen sinnlicher Erkenntnis dar.

 

Tastaturen der Disziplinierung oder Emanzipation?

Die experimentellen Übungen zur Entfaltung und Erweiterung der sinnlichen Wahrnehmung am Bauhaus – gleichwohl auch Ausdruck der Kritik an bestehende Hierarchien des Wissens – bewegten sich allerdings in einem widersprüchlichen Kontext von Diskursen und Disziplinen, die in den 1920er-Jahren auf unterschiedliche Weise mit der Transformation der menschlichen Psyche und seiner Sinne in der modernen Gesellschaft befasst waren. So ist es kein Zufall dass Moholy-Nagy einen Beitrag über das Bauhaus zum vom Arbeitswissenschaftler und Psychotechniker Fritz Giese herausgegebenen Handbuch für Arbeitswissenschaft veröffentlichte. Giese war eine der führenden Figuren der neuen Disziplin der Psychotechnologie – 1920 erschien von ihm bereits das Buch Psychotechnik und Taylorsystem, später leitete er in Halle ein Institut für angewandte Psychologie. Hier entwickelte er Apparate zur Erprobung der taktilen Sinne sowie Tastübungen, die dazu dienten, Fähigkeiten von Personen für unterschiedliche Arbeitsanforderungen zu testen.[11] Am Bauhaus wurden unter der Direktorenschaft von Hannes Meyer ebenfalls Kurse zur Psychotechnik angeboten.

Doch während Giese solche Tastübungen als Eignungstests für besondere Arbeitsanforderungen, als Disziplinierungsmethoden zur Anpassung an die industrielle Arbeitswelt einsetzte, ging es Moholy-Nagy in seinem Unterricht des Trainings der Taktilität um die Öffnung und Erweiterung sinnlicher Erfahrungen. Die Ambivalenz dieser Kulturtechnik wurde umso sichtbarer im New Bauhaus, welches Moholy-Nagy auf Einladung der Association of Arts and Industries von 1937 an in Chicago leitete.

Maggie Taft hat in ihren Forschungen zum sogenannten „War Time“-curriculum der School of Design – der Nachfolgeinstitution des New Bauhaus – herausgearbeitet wie unter anderem auch Tastübungen für Veteranen mit Kriegsverletzungen angeboten wurden, um diese für ihren Einsatz im Arbeitsmarkt zu trainieren.[12] 

Diese Bespiele früher Beziehungen zwischen Experimenten des Sinnestrainings in Psychotechnik und Kunstpädagogik zeigen die erschreckende Nähe zwischen Disziplinierung und Emanzipation.

Einige Jahre später reklamiert die am Back Mountain College gemeinsam mit ihrem Mann Josef Albers unterrichtende Anni Albers erneut die subversive Kraft des Tastsinns. Verstärkt durch die Erfahrung des American way of life und der Auswüchse der Konsumgesellschaft bildet „tactility“ ein zentrales Kapitel ihrer Weaving Theory, die sie 1965 veröffentlichte. Hier stellt sie heraus, dass insbesondere die Sensibilität des Tastens und die Artikulationen im Taktilen in der modernen Gesellschaft degeneriert seien:

 

 

„Unsere Materialien kommen bereits gemahlen und zerhackt und zerkleinert und pulverisiert und gemischt und geschnitten zu uns, so dass uns nur das Finale in einer langen Abfolge von Arbeitsgängen von der Materie zum Produkt bleibt: Wir toasten das Brot nur noch. Es ist nicht nötig, unsere Hände in den Teig zu stecken. Wir entfernen eine Zellophanverpackung und voilà – der Speck, die Rasierklinge oder das Paar Nylons. Die moderne Industrie erspart uns endlose Arbeit und Mühsal: Aber sie nimmt uns auch die Möglichkeit, an der Formung des Materials teilzunehmen, und lässt unseren Tastsinn und damit jene prägenden Fähigkeiten untätig, die von ihm angeregt werden.”[13]

 

 

Anni Albers formuliert aus der Praxis des Webens heraus, einer Praxis der konstanten Begegnung zwischen Hand und Stoff, ihre Designtheorie. Die materiale taktile Praxis des Webens – strukturiert durch die rhythmischen Verknüpfungen zwischen Kette und Schuss – moduliert das Denken im Weben, ein Denken, das nicht zwischen Berühren, Begreifen und Kognition unterscheidet, sondern vielmehr das ständige Bewegen zwischen Objekt und Subjekt zur Voraussetzung hat. „Obwohl ich mich in diesem Buch mit langjährig etablierten Fakten und Prozessen beschäftige, habe ich bei deren Erforschung dennoch das Gefühl, Neuland zu betreten. Ausgehend von einem definierten und spezialisierten Bereich kann man zu einer Realisierung einer sich ständig erweiternden Beziehung kommen. Dadurch werden tangentiale Subjekte sichtbar. Die Gedanken können jedoch, so glaube ich, auf das Ereignis des Fadens zurückgeführt werden.“[14] 

Parallelen zu den in den 1920er-Jahren geführten Debatten um die Transformation menschlicher Wahrnehmungsweisen, in die das Bauhaus als Schule involviert war, finden sich in der Gegenwart: wenn es um die Veränderung menschlicher Apperzeption im Zuge der Digitalisierung geht.

Die Designforscherin Caroline Höfler untersucht in ihren Forschungen unter anderem Kontaktzonen zwischen der digitalen und analogen Kultur und beobachtet hierbei auch ein neues Interesse am Tastsinn. Am Beispiel des von Microsoft entwickelten haptischen Revolvers diskutiert sie, in welchen Konstellationen hier virtuelle und quasi haptische Erfahrung miteinander kombiniert werden. Dabei handelt es sich um ein virtuelles Pokerspiel, mit dem unterschiedliche Materialien erspürt werden können. Ein Vergleich zu der Rudolf Marwitz im Vorkurs bei Moholy-Nagy entwickelten Tasttrommel 1929 ist offensichtlich. „Allerdings“, so Höfler, „zielten die Tastübungen am Bauhaus auf die Gestaltung von Sinneswirklichkeiten ab, während Virtual-Reality-Entwicklungen gezielt Sinnestäuschungen herbeizuführen suchen.“ Während die eine 3-D Brille tragende Person erneut die Tasterfahrungen dem in diesem Falle virtuellen Sehsinn unterordnet und damit tradierte Sinneshierarchien im Grunde fortschreibt, ging es in den Tastübungen des Bauhauses um genau den Bruch mit diesen Hierarchien: ihr „subversives Potential“ bestünde darin, eine unmittelbare „Kommunikation zwischen Körpern und Materialien zu ermöglichen, die zugleich ihre Vermitteltheit offenlegt.“[15]

 

 

Footnotes

 

  1. ^ Martin Krampen, ZKM, Karlsruhe (Hg.): beobachten und formulieren. grundkurs mit übungen, nach einem filmskript von josef albers, Hatje Cantz, Ostfildern 2009.
  2. ^ Eckhard Neumann (Hg.): Bauhaus und Bauhäusler. Erinnerungen und Bekenntnisse, DuMont Verlag, Köln 1985, S. 254.
  3. ^ Vgl. Leah Dickermann, „Bauhaus Fundaments“, in: Barry Bergdoll und Leah Dickermann (Hg.): Workshops for Modernity, MoMA New York 2009, S. 17.
  4. ^ interview mit bauhäuslern, in: bauhaus zeitschrift für gestaltung, 2. Jg., Nr. 2-3, 1928, S. 24.
  5. ^ Vgl. Christian Kravagna: „Im Schatten großer Mangobäume. Kunsterziehung und transkulturelle Moderne im Kontext der indischen Unabhängigkeitsbewegung“, in: Marion von Osten und Tom Holert (Hg.): Das Erziehungsbild. Zur Visuellen Kultur des Pädagogischen, Schlebrügge, Wien 2010, S. 108.
  6. ^ Vgl. Thierry de Duve: When Form Has Become Attitude – And Beyond, (1994) readings.design/PDF/ThierrydeDuveFormAttitude.pdf (7.12.2018), S. 23, (Übersetzung von der Redaktion).
  7. ^ Otti Berger: „Stoffe im Raum“, RED, Sonderausgabe: Bauhaus, 1930, S. 145.
  8. ^ László Moholy-Nagy: Vom Material zur Architektur, Florian Kupferberg Verlag, Mainz 1968, S. 19.
  9. ^ Hartmut Böhme: „Der Tastsinn im Gefüge der Sinne. Anthropologische und historische Ansichten vorsprachlicher Aisthesis“, in: Kunst- und Ausstellungshalle der BRD (Hg.): Tasten. Schriftenreihe Forum, Bd. 7, Göttingen 1996, S. 198.
  10. ^ Vgl. dazu T’ai Smith: Bauhaus Weaving Theory. From Feminine Craft to Mode of Design, University of Minnesota Press, Minneapolis 2014, S. 91ff.
  11. ^ Torsten Blume und Janek Müller: „Sachsen-Anhalt in der Moderne“, in: Claudia Perren, Torsten Blume, Alexia Pooth (Hg.): Große Pläne!: Moderne Typen, Fantasten und Erfinder. Zur Angewandten Moderne in Sachsen-Anhalt 1919-1933, Kerber Verlag, Bielefeld 2016, S. 89.
  12. ^ Maggie Taft: „Better than before. László Moholy-Nagy and the New Bauhaus in Chicago“, in: Mary Jane Jacob und Jaquellynn Bass (Hg.): Chicago Makes Modern: How Creative Minds Changed Society, University of Chicago Press, Chicago 2012, S 31–43.
  13. ^ Anni Albers: On Weaving, Wesleyan University Press, Middletown 1965, S. 62 (Übersetzung der Redaktion).
  14. ^ Ebd., S. 15.
  15. ^ Carolin Höfler im Gespräch, in: Regina Bittner und Katja Klaus (Hg): Gestaltungsproben. Übungen zum Unterricht am Bauhaus, Edition Bauhaus, Bd. 57, Spector Books, Leipzig 2019, S. 29.

Zwei Abbildungen aus László Moholy-Nagy: Vom Material zur Architektur, Florian Kupferberg Verlag, Mainz 1968, S. 43.

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