Sollten Architekten tanzen?

Bauhaus als Raumbühne

Schon in Weimar hatte sich ein spielerisch improvisiertes, „mechanisches“ Theater in und neben der Bauhaus-Bühnenwerkstatt entwickelt, das sich formal deutlich an vorangegangenen dadaistischen, futuristischen und konstruktivistischen Experimenten orientierte. Die Besonderheit dieser Bühnenexperimente bestand jedoch darin, dass es weniger um eine Erneuerung des Theaterbetriebes ging als um ein gemeinschaftliches Gestaltungslernen im Sinne eines angewandten Theaters für Gestalter sowie um die Gemeinschaftsgestaltung selbst.

Bauhaus-Archiv Berlin / © C. L. Barthelmess
Aktzeichnung aus dem Unterricht Oskar Schlemmer, Autor: Klaus Rudolf Barthelmess, 1922.

Zur Person

Torsten Blume (Dessau) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter, Künstler und Choreograf an der Stiftung Bauhaus Dessau.

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Oskar Schlemmer war 1923 nicht zuletzt deshalb zum Leiter der Bühnenwerkstatt berufen worden, weil er die bei solchen Raumexperimenten geschaffenen abstrakten Formen- und Bewegungskomplexe systematisch ordnen und auch pädagogisch weiterentwickeln sollte. Es galt, sich endlich der von Gropius 1921 eingerichteten Bühnenwerkstatt zu widmen und den „bewegten, lebendigen, künstlerischen Raum“ sowie allgemein das „Phänomen des Raumes ... durch Bewegung mechanischer oder organischer Körper ... und durch Schwingungen des Lichts und der Töne in ihm“ zu untersuchen.

Text

Dementsprechend war das Medium der Dessauer Bühnenraumexperimente und „Bauhaustänze“ der als „Kunstfigur“ abstraktgeometrisierte „Tänzermensch“. Dieser Tänzermensch war jedoch weniger ein sich ausdrückender Mensch als vielmehr eine Transformation des menschlichen Leibes als architektonischer bzw. architektonisierter Apparat für elementare künstlerische Raumproduktionen. Diese wurden vor allem dadurch ermöglicht, dass sich der Tänzermensch im Bewegen den Gesetzen des Raumes verschreibt, oder sich, wie Schlemmer es ausdrückt, vom Raum sowie von dessen Geometrien und Tektonik „behexen“, das heißt in seiner Gestalt und seinem Habitus verwandeln ließ. Deshalb lassen sich Schlemmers „Bauhaustänze“ auch als Versuchsanordnungen einer neuen, anthropologischen Architektonik beschreiben; zur Bauhaus-Ausbildung von Architekten und Raumgestaltern passten sie jedenfalls bestens.

Als Schlemmer 1927 beschrieb, „mit welchen Bestrebungen sich die Bühne am Bauhaus organisch in dessen Gesamtkomplex einreiht“, betonte er noch einmal die in der Bühnenwerkstatt stattfindende „Erforschung der Gestaltungselemente“ und dass sich „die Bestrebungen, die in Richtung auf den Bau universal zusammenfassen wollen ..., naturgemäß auch auf das Gebiet der Bühne (beziehen)“. Dazu wiederholte Schlemmer auch Gropius` Diktum, die Bühne sei „doch gleich dem Bau ein orchestraler Komplex“, „der nur durch das Zusammenwirken vieler und verschiedener Kräfte besteht“.

So, wie „Begriffe wie Norm, Typus, Synthese ... den Weg (bezeichnen)“, auf dem sich das Bauhaus insgesamt befinde, so gelte dies nach Schlemmers Auffassung auch für die Bühnenarbeit: „Wir bemühen uns um das Typische, um den Typen, um Zahl und Maß, um das Gesetz ... als Regulativ eines intensiven Welt- und Lebensgefühls.“ Aber der Bauhausmeister schrieb auch: „Wenn die Tendenzen des Bauhauses auch die unserer Bühne sind, so stehen für uns im Vordergrund des Interesses naturgemäß folgende Elemente: Der Raum als Teil des größeren Gesamtkomplexes Bau. Die Bühnenkunst ist eine Raumkunst und wird es in Zukunft in erhöhtem Maße sein. Denn die Bühne, einschließlich des Schau-Raums, ist vor allem ein architektonischräumlicher Organismus, in dem alle Geschehnisse – zu ihm und unter sich – raumbedingt in Beziehung stehen. ... Wird der enge Bühnenraum gar gesprengt und der Begriff Raum auf den Bau überhaupt übertragen ... – ein Gedanke, der angesichts des Bauhausneubaus faszinierend ist ..., so könnte der Begriff Raumbühne in wohl kaum gekannter Weise demonstriert werden.“

© Dr. Stephan Consemüller

Text 2

Der Bauhausstudent Andor Weininger, der damals nicht nur Spiritus Rector der Bauhauskapelle gewesen ist, sondern bereits damit begonnen hatte, sich zum Beispiel mit dem Entwurf eines „Kugel-Theaters“ als Architekt zu profilieren, berichtete später: „Schlemmer glaubte, dass er, indem er abstrahierte, künstliche Formen benutzte, den Raum besser beherrschen könne.“ Schlemmer beschrieb dieses „Bewegungsspiel, bei dem die Bodengeometrie (Quadrat, Diagonale, Kreis) auf der Tanzfläche aufgezeichnet war“, als „Raumtanz“. Denn: „Hierbei kam der Raum mit einer überraschenden Intensität zum Ausdruck, und zwar nur durch die verschieden temperierte Bewegung der Tänzer, durch die Kinetik des Ablaufs.“ Der Student Albert Mentzel Flocon war von dieser „Raumarbeit“ so begeistert, dass er, der eigentlich ans Bauhaus gekommen war, um Architektur zu studieren, zunächst darauf verzichtete, denn „diese Raumforschung schien mir zehnmal interessanter, als Raumkästen in die Natur zu stellen“.

Auch heute ließe sich diese Art und und Weise des versuchenden Raumübens und der performativen Raumproduktion für die Ausbildung von Gestaltern gewinnbringend aktualisieren. Bis heute gibt es aber keine Kunst- oder Gestaltungshochschule, die frei nach Schlemmers’ Bauhausbühnen-Pädagogik „Leibesübungen für Gestalter“ anbietet, die kontinuierlich im Curriculum verankert sind und über kurze projektbezogene „Flirts“ mit dem Tanz hinausgehen. Wohl kaum jemand, der heute Architektur oder Gestaltung unterrichtet, wird László Moholy-Nagys Aussage widersprechen, dass Raumgestaltung als „Gestaltung von Lagebeziehungen der Körper (Volumen)“ mit dem organmäßigen Erleben konfrontiert werden muss und „Raum am unmittelbarsten erlebbar (ist) durch Bewegung, auf einer höheren Stufe durch den Tanz“. Dies führt aber kaum dazu, dass die Architekten oder Designer ausprobieren, ob sie selbst im Tanzen „Raum verdichten“ und „ihn gliedern“ können. Wie Raum sich dehnt, sinkt und schwebt, flukturierend in alle Richtungen, analysieren Architekten und Designer heute lieber an „richtigen“ Tänzern, gerne auch mit der Unterstützung von Tanzwissenschaftlern. In der Folge entstehen dann nicht selten Projekte, in denen die Gestalter mittels digitaler Motion-Capture-Systeme oder anderer Aufzeichnungsverfahren von Bewegungen zu zweifellos interessanten und sicher auch inspirierenden Raumbildern gelangen. Aber selber Räume tanzen, wie Schlemmers Studierende am Bauhaus? So etwas tun Architekten nur noch selten.

Stiftung Bauhaus Dessau
Torsten Blume, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Stiftung Bauhaus Dessau
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