Sie brauchen das Bauhaus
Grete Reinhardt, 1928
Text
In ihrer Collage „sie brauchen das bauhaus“ fand Margaretha Reichardt (am Bauhaus „Grete“ genannt) wie Marianne Brandt und László Moholy-Nagy ein Ventil zur freien Meinungsäußerung. Reichardts Kritik richtete sich an die Leitung der Weberei-Werkstatt am Bauhaus. Ursprünglich hatte Gropius die experimentelle Werkstattarbeit als Dreh- und Angelpunkt zur freien künstlerischen Entfaltung und als wichtigen Bestandteil der Lehre postuliert. 1928 entsprachen diese Ziele nicht mehr der Realität. Die Bauhaus-Weberei hatte Verträge mit der Industrie geschlossen, die pünktlich beliefert werden musste und dem Bauhaus finanzielle Mittel einbrachte.
Als Einleitung zitiert Reichardt in ihrer Collage einige Verszeilen von Goethe, worauf eine Auswahl von Stoffmustern folgt. Ihr Kommentar hierzu ist: „erziehung am fließband“ und „Tempo, Tempo“. Den zeitlichen Arbeitsdruck hebt die Weberin mit dem streng aussehenden Beamten, dem „tüchtigen Webmeister“, hervor, dessen Zeigefinger auf die stets tickende Uhr verweist. Im unteren Teil der Collage benutzt die junge Künstlerin eine Werbung des Bauhauses, die 1928 mehrfach in der Zeitschrift „bauhaus“ anpries: „sie brauchen moderne qualitätsarbeit. das bauhaus übernimmt". Reichardts Frage darauf ist „Wie weben?“ Eine Hand präsentiert den Lohn für getane Arbeit und eine Liste der Weberei-Aufträge von Mai bis September 1928. Reichardt fordert: „Prüfen Sie, bleibt dann noch Zeit für Versuchsarbeit?“
Vermutlich wurde diese Collage als Semesterabschlussarbeit für das Wintersemester 1928 am Bauhaus gezeigt. Im Rahmen dieser Ausstellung müssen Meister und Studenten Reichardts Kritik wahrgenommen haben. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Werkstattleitung und Studenten der Weberei fanden ihren Höhepunkt in einer Aktion gegen die Leiterin Gunta Stölzl, angeführt von Grete Reichardt, Ilse Voigt und Herbert von Arend – alle drei waren Mitglieder der Bauhaus-Weberei. Letztlich kündigte Stölzl ihren Posten im April 1931 zum September desselben Jahres auf.
[AG 2015]
- Literatur:
- Angermuseum Erfurt und Arbeitsgruppe M. Reichardt (1995): Margaretha Reichardt 1907–1984. Textilkunst, Erfurt .