Haus Schminke, Löbau
Hans Scharoun, 1930
Hans Scharoun entwarf das Haus Schminke 1930 für den Löbauer Nudelfabrikanten Fritz Schminke. Die Umsetzung ist extravagant und funktionell zugleich.
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Das Haus Schminke ist eines der weltweit vier herausragenden Beispiele der Stilrichtungen "Neues Bauen" und "International Style". Es reiht sich in der Bedeutung ein neben Mies van der Rohes Haus Tugendhat in Brünn/Brno, Le Corbusiers Villa Savoye in Poissy bei Paris und Frank Lloyd Wrights Haus Kaufmann "Fallingwater" in Mill Run, Pennsylvania – allesamt Häuser, die exakt auf die Bedürfnisse ihrer Bauherren zugeschnitten wurden und die umgebende Natur auf eindrucksvolle Weise einbeziehen. Bereits 26 Jahre nach seiner Fertigstellung wurde das Haus Schminke als revolutionär geltendes Architekturwerk der Moderne denkmalrechtlich erfasst und 1978 schließlich unter Denkmalschutz gestellt.
Hans Scharoun entwarf das Haus 1930 für den Löbauer Nudelfabrikanten Fritz Schminke. Der Bauherr wünschte sich "ein modernes Haus für zwei Eltern, vier Kinder und gelegentlich ein bis zwei Gäste". Die Umsetzung ist extravagant und funktionell zugleich. Der gebogene Korpus mit Terrassen, Außentreppe und zahlreichen runden Bullaugenfenstern weckt die Assoziation zu einem Schiff. Im Wohnbereich gehen die Räume fließend ineinander über. Großzügige Glasflächen beziehen den Garten als erweiterten Wohnraum mit ein. Neben Weite und Transparenz prägen vielfältige Gestaltungselemente das Raumerlebnis. Sie wurden eigens für das Haus entwickelt und setzen durch Form und Farbe besondere Akzente. Die Wirtschaftsräume mit Frankfurter Küche und der Schlafbereich sind im Gegensatz dazu bewusst spartanisch gehalten – mit leicht zu reinigenden Oberflächen und platzsparenden Einbauschränken.
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Die Gartenanlage gestaltete Herta Hammerbacher als ein dynamisches Verbindungsglied zwischen Architektur und Landschaft. Bauliche Elemente wurden in ihren Grundformen und Materialien im Garten fortgeführt, um eine Synthese von Organik und Anorganik zu erzeugen. Dieser Gestaltungsansatz war ganz typisch für die Landschaftsarchitektin, die über zwei Jahrzehnte der Arbeitsgemeinschaft Gartengestaltung in Bornim um Karl Foerster und Hermann Mattern angehörte.
Wechselvolle Geschichte
1933 eingezogen, wohnte die Familie nur zwölf Jahre in ihrem Haus. 1945 wurde es von der Roten Armee beschlagnahmt und vorübergehend von der Militärkommandatur besetzt. 1946 erhielt die Familie das Haus zurück - gleichzeitig wurde aber die Nudelfabrik enteignet. Charlotte Schminke richtete im Haus ein Erholungsheim für Kinder bombengeschädigter Familien aus Dresden ein, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Ihr Mann kehrte erst 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. 1950 verließ Fritz Schminke die DDR, da er hier wegen Belieferung der Wehrmacht als Kriegverbrecher galt.
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Seine Frau folgte ihm 1951 nach Celle. Das Ehepaar Schminke verpachtete das Haus an die Stadt Löbau, die im Mai 1951 ein Klubhaus für die Freie Deutsche Jugend (FDJ) einrichtete. 1952 folgte die Enteignung durch den DDR-Staat. 1963 wurde das Klubhaus der FDJ aufgelöst. Das Haus Schminke wird fortan bis zur Wende als "Haus der Pioniere" genutzt. 1990 richtete die Stadt Löbau im Haus Schminke ein Freizeitzentrum für Kinder und Jugendliche ein. Die drei Töchter von Charlotte und Fritz Schminke, Gertraude Bleks, Erika Inderbiethen und Helga Zumpfe, verzichteten 1993 großzügig auf die Rückgabe ihres Elternhauses unter der Maßgabe, dass es auch künftig einer öffentlichen Nutzung zugeführt wird. Sie ebneten damit den Weg, das Haus als Architekturdenkmal zugänglich zu machen.
Die Jahrzehnte der Fremdnutzung hatten schwere Spuren hinterlassen. 1999 brachten die gemeinsam von der Stadt Löbau und der Wüstenrot Stiftung getragenen Sanierungsarbeiten viele verschollene Details ans Licht. In alten Unterlagen fanden sich außerdem Fotos aus der Entstehungszeit, welche die ursprüngliche Innengestaltung erkennen lassen, zum Beispiel die Liegelandschaft, auf der die vier Kinder aneinandergereiht Mittagsschlaf halten konnten. Bei der Rekonstruktion des Gartenteichs fanden sich Leuchten und Kamin wieder. Den Töchtern von Charlotte und Fritz Schminke ist es zu verdanken, dass weitere Originalgegenstände an ihren Ursprungsort zurückgeführt werden konnten, unter anderem das Ehebett der Mutter, das Schlafzimmersofa, ein Schreibsekretär sowie private Bilder.
Dauerhafter Schutz für Hans Scharouns "liebstes Haus"
Im Jahre 2007 wurde schließlich eine Stiftung für das Kleinod ins Leben gerufen. Gründungsstifter sind die Stadt Löbau und die Hess AG aus Villingen-Schwenningen. Die schließlich im Mai 2009 rechtfähig anerkannte Stiftung übernahm fortan die Trägerschaft für das Architekturdenkmal von der Stadt Löbau. Sie konzentriert sich voll auf den Erhalt und die Belange von Haus Schminke. Neben Erhaltungsmaßnahmen gehört es zu den zentralen Aufgaben der Stiftung, das Haus auf Grundlage eines attraktiven kulturellen Nutzungskonzepts der Allgemeinheit zugänglich zu machen.
[KS 2015]