„Der Schlag gegen das Bauhaus“
Eine Collage, die zu einem Symbol der Schließung des Bauhauses wurde

Mariko Takagi
Veröffentlichungsdatum: 03.2019

Drei Männer marschieren von der oberen rechten Ecke in die Bildmitte hinein. Das energische Schreiten, das laute Auftreten der Schuhe kann man regelrecht hören, denn zwei der drei Männer tragen Stiefel und Uniform. Der Kopf des dritten Mannes ist im Anschnitt, und so kann es gut sein, dass noch mehr Männer in die Szene „hineinplatzen“ werden. Fast schon in der Bildmitte angekommen ist der erste Mann in Uniform, der Ähnlichkeiten mit dem 1931 ernannten Stabschef der SA, Ernst Röhm (1887–1934) hat. In seiner linken Hand hält er eine Peitsche oder eine Eisenstange. Diese ist wahrscheinlich in die Hand hinein retuschiert worden, da sich Farbgebung der Person und des Objekts leicht voneinander unterscheiden. Der zweite Mann ist in Zivil gekleidet, mit Hut und dunklem Mantel; unter dem linken Arm klemmt eine Aktentasche. Der markante Schnäuzer, das runde Brillengestell und der kurze Hals lassen auf Alfred Hugenberg (1865–1951) tippen. Hugenberg war in den 1920er und 1930er Jahren ein erfolgreicher Medienmogul, dem der Hugenberg-Konzern, sowie der Scherl-Verlag (Zeitschriften- und Zeitungsverlag) gehörte. Röhm (gehen wir hier davon aus, dass es Röhm ist) schaut nach links und Hugenbergs Blick wendet sich Richtung Betrachter. Zusammen scheinen sie die Szene komplett im Blickfeld zu haben. Die drei Männer marschieren über die Fassade des Dessauer Bauhauses, die sich diagonal von der unteren Bildkante nach oben und hinaus nach rechts ausstreckt. Die Glasfassade des Werkstattgebäudes, sowie die Südansicht mit dem ikonischen vertikalen Schriftzug BAUHAUS, sind umgestürzt, ineinandergesteckt und dienen den drei Männern nun als Bühne. Ein Trupp von Männern in Uniform und mit Hakenkreuz-Armbanderolen marschiert weiter hinten auf der Glasfassade und wird dabei von einem Kameramann gefilmt. Am Horizont steht eine ganze Armee abrufbereit. Das Ende der Aufstellung ist nicht in Sicht. Die hintersten Reihen sehen aus, als wären sie per Hand hineingezeichnet worden. Erste Opfer liegen bereits verstreut in der linken oberen Bildecke, am Boden oder kauernd. Sie tragen helle Kleidung, heben sich von den Männern in Uniform deutlich ab und wirken beim genauen Betrachten in ihren Proportionen wie Kinder.

Ganz vorn, nah am Betrachter, ragen vier junge Leute – eine Frau und drei Männer – aus der unteren Bildkante in die Szene hinein. Sie sind in Bluse beziehungsweise Hemden und Anzugsjackett gekleidet und machen einen aufgebrachten Eindruck. Ihre Münder sind aufgerissen und sie scheinen etwas zu rufen. Einer der Männer ballt seine rechte Faust. Leicht verdeckt werden vier Personen von einer weiteren Aufnahme, die aus der Vogelperspektive fotografierten vier Etagen Balkone des Atelierhauses sind freigestellt. Auf jedem der vier Balkone steht ein Bauhäusler.

Das Gesamtbild wirkt wie eine Theaterszene, eine herannahende Katastrophe erahnend. Kurz vor Ende fällt der Vorhang und der Zuschauer wird mit einem offenen Ende alleine gelassen.

Die beschriebene Szene spielt sich auf einer sepiafarbenen Collage ab, deren Format ein wenig kleiner ist als DIN A3 (28,8 x 38,5 cm). Die Collage wurde 1932 von Yamawaki Iwao, einem japanischen Architekten, der vom Wintersemester 1930 bis einschließlich Sommersemester 1932 am Bauhaus studierte, gestaltet.

 

Ein Architekt, dessen bekannteste Arbeit eine Collage ist: Yamawaki Iwao

Iwao Yamawaki studierte zusammen mit seiner Frau Michiko von 1930 bis 1932 am Bauhaus in Dessau. Als Iwao im Wintersemester 1930 das Studium am Bauhaus aufnahm, hatte er bereits sein Architekturstudium an der damaligen Tokyo Bijutsu Gakko (Kunsthochschule Tokyo) absolviert und konnte auf vier Jahre Berufserfahrung als technischer Bauzeichner im Architekturbüro Yokogawa in Tokyo zurückblicken. Obwohl das Architekturbüro Yokogawa zu jener Zeit für seine technisch-innovativen Herangehensweisen bekannt war und anspruchsvolle Projekte in Tokyo betreute, war Iwao auf der Suche nach neuen Impulsen. Als der damals 30-jährige Iwao 1928 in die arrangierte Hochzeit mit der wohlhabenden, 12 Jahre jüngeren Michiko Yamawaki einwilligte, ging er einen Handel mit seinem zukünftigen Schwiegervater ein. Iwao nahm den Familiennamen Yamawaki an und erhielt im Gegenzug die finanzielle Unterstützung für ein Auslandsstudium, ein Studium am Bauhaus in Dessau. 1930 reiste das Ehepaar Yamawaki nach Deutschland und nahm das Studium zum Wintersemester auf.

Trotz des in Japan abgeschlossenen Studiums und der mehrjährigen Berufserfahrung belegte Iwao zusammen mit seiner Frau (die allerdings keinerlei Vorbildung in Kunst oder Design hatte) die Vorkursfächer von Josef Albers und Wassily Kandinsky, bevor er sich im zweiten Jahr in die Architekturklasse von Mies van der Rohe einschrieb.[1] Iwao und auch Michiko schrieben spürbar begeistert über die Unterrichtsmethoden von Albers und Kandinsky. Doch lassen sich in Iwaos Aufzeichnungen vergleichsweise wenig Informationen zu dem Unterricht von Mies van der Rohe finden, obwohl sein Schwerpunkt primär in der Architektur lag. Es sind auch keine Entwürfe, Pläne oder Modelle von Iwao aus seiner Zeit am Bauhaus in den gängigen Publikationen zu finden. Stattdessen sind zahlreiche Fotografien erhalten: Portraits von Bauhäuslern, Schnappschüsse, die das Alltagsleben am Bauhaus dokumentieren, Architekturaufnahmen, Mikroaufnahmen und Collagen.

In seinen Berichten, die Iwao für japanische Medien verfasste, und in seiner Korrespondenz mit einem (für uns heute unbekannten) Adressaten in Japan, schilderte Iwao seine Eindrücke, die er am Bauhaus sammelte. In einem dieser Briefe, den Iwao am 21. Dezember 1930 aus Deutschland abschickte, schrieb er kurz vom Kauf einer größeren Kamera.[2] Diese kam anschließend intensiv zum Einsatz. Kawahata Naomichi, der 1995 mit Yamawaki Michiko ihre Biografie erstellte, beschrieb Iwao als einen akribischen Aufzeichner (記録魔) seiner Umwelt.[3]

Iwao war während seines Studiums am Bauhaus mit Kurt Kranz (1910–1997) befreundet. Diese Freundschaft sollte trotz großer geografischer Distanz auch nach dem Studium halten. Kranz war nicht nur ein Freund, man sieht an Iwaos Collagen auch, dass er von seiner Arbeit inspiriert wurde. Kurt Kranz war ausgebildeter Lithograf bevor er an das Bauhaus kam und war am Bauhaus unter anderem in der Reklame-Werkstatt von Joost Schmidt und in der Fotoklasse von Walter Peterhans aktiv tätig.[4] Auch Iwao ging in diesen Klassen ein und aus. In einem Brief den Iwao am 24. März 1931 nach Japan abschickte, schrieb er über die Fotoabteilung und die Reklameabteilung und äußerte den Wunsch, dass doch ein japanischer Gestalter, der in dem Bereich seinen Schwerpunkt sieht, ans Bauhaus kommen mag, um 2 bis 3 Jahre intensiv diese Fächer zu studieren.[5]

Bereits seit seinem ersten Studium in Tokyo hegte Iwao eine Leidenschaft für das Theater und insbesondere für die Gestaltung von Bühnenbildern. 1926 wurde er Mitglied der avantgardistischen Künstlergruppe Tanisanka (単位三科). In dieser Gruppe wurde nicht nur über Kunst und Architektur reflektiert und diskutiert, es wurden auch Theaterstücke inszeniert und die dazu passenden Bühnenbilder gestaltet und gebaut. Die Künstlergruppe Tanisanka bestand überwiegend aus jungen Architekten, mit einer Ausnahme, Nakada Sadanosuke (仲田定之助 1888–1970), der zusammen mit dem Architekten Ishimoto Kikuji (石本喜久治 1894–1963) als erster Japaner im November 1922 zu Gast am Bauhaus in Weimar war. Nakada war während der Vorbereitungszeit auf das Studium am Bauhaus für Iwao ein wichtiger Ansprechpartner, da er nicht nur das Bauhaus mit eigenen Augen gesehen, sondern auch reichlich Anschauungsmaterial aus Deutschland mitgebracht hatte. In Deutschland verfolgte Iwao weiterhin seine Interessen im Bereich des Theaters. Die Wochenenden verbrachten die Yamawakis oft in Berlin, wo sie ebenfalls ein Zimmer angemietet hatten. In Berlin hatten sie Anschluss an einen japanischen Freundeskreis um den Regisseur und Schauspieler Senda Korea (千田是也 1904–1994), der sich zur selben Zeit in Deutschland aufhielt. Zusammen besuchten sie Theateraufführungen und inszenierten selbst Stücke. Die Technik der Collage nutzte Iwao hier einerseits um die in Berliner Theatern gesehenen Bühnenbilder zu skizzieren und zu dokumentieren. Zugleich fand er in der Technik seine ideale Darstellungsmethode, um Ideen zu eigenen Bühnenbildern zu visualisieren.

Materialien für seine Collagen fand er in Zeitungen und Zeitschriften, verwendete aber auch seine eigenen Fotografien. Iwao kaufte sich regelmäßig Ausgaben der AIZ (Arbeiter Illustrierte Zeitung) – während der Nachmittagspause beim Zeitungsmann, der sie direkt in der Bauhaus-Mensa anbot.[6] Die linksliberale Zeitung (kurz: AIZ) war bei den Bauhäuslern sehr beliebt. Bei Iwaos berühmter Collage „Der Schlag gegen das Bauhaus“ kamen Ausschnitte aus der AIZ zum Einsatz. Die zwei Bildelemente, die die Fassade des Bauhauses zeigen, sind Aufnahmen, die Iwao selbst gemacht hatte. Das Foto mit vertikalem Schriftzug auf der Südseite ist von 1931. Die vier Balkonabschnitte entnahm Iwao wahrscheinlich aus dem Artikel auf Seite 3 des Berliner Weltspiegels vom 7. August 1932, in dem von der Schließung des Bauhauses berichtet wird. Laut Artikel ist die Fotografie von A. P. Alfred Eisenstaedt. Gemäß der Darstellung von Izutsu in der Publikation The Bauhaus a Japanese Perspective – And a Profile of Hans and Florence Schust Knoll entnahm Iwao weitere Bildmaterialien für die Collage den Ausgaben der AIZ aus den Jahrgängen 1931 und 1932.[7] Den Titel der Collage „Der Schlag gegen das Bauhaus“ las Iwao als Überschrift in einem Artikel in einer Berliner Tageszeitung die am 23. August 1932 von der Schließung des Bauhauses berichtete.[8] Dies ist zu lesen in dem „Bericht C“, den Iwao am 4. September 1932 versandt hat und in dem er selbst von der Schließung des Bauhauses und von den Umständen schrieb.

Das Studium am Dessauer Bauhaus endete für das Ehepaar Yamawaki mit der Schließung des Standortes Dessau. Der Einladung von Mies van der Rohe, das Studium in Berlin fortzuführen, folgten sie nicht. Auf Michiko warteten familiäre Verpflichtungen, und so entschloss sich das Paar, nach zwei Jahren Dessau zurück nach Japan zu kehren. Nach Japan nahmen die Yamawakis zahlreiche Arbeiten und Produkte des Bauhauses mit, die sie unter anderem von Kommilitonen und Lehrenden erstanden hatten. Diese Objekte wurden nicht nur Teil der Wohnungseinrichtung in ihrer Tokyoter mondänen Wohnung, sondern auch des Bauhaus-Archivs der Yamawakis. Gleichzeitig benutzten sie das Mitgebrachte als Studienobjekte und Inspirationsquelle für aufstrebende japanische Designer.

Im Gepäck befand sich auch die Collage „Der Schlag gegen das Bauhaus“, die Iwao ursprünglich zu Semesterende am Bauhaus ausstellen wollte. Auf Anraten eines deutschen Freundes, so heißt es in zahlreichen Texten, nahm Iwao die Collage unveröffentlicht mit nach Japan zurück. Zusammen mit dem leicht editierten Bericht C, der von der Schließung des Bauhauses handelt, wurde die Collage erstmalig in der Architekturzeitschrift Kokusai kenchiku (国際建築) im Dezember 1932 veröffentlicht. Die Collage selbst beließ Iwao unkommentiert und ließ sie hiermit für sich selbst sprechen – von der gewaltsam beendeten letzten Szene des Bauhauses in Dessau, kurz bevor der Vorhang fiel.

 

* Japanische Personennamen wurden gemäß dem japanischen System aufgeführt, d.h. der Nachname steht vor dem Vornamen.

 

 

Footnotes

 

  1. ^ Yamawaki Iwao, „Erinnerungen an das Bauhaus“ (山脇巌:バウハウスの憶い出 (バウハウス-芸術教育の革命と実験), in: Bauhaus Revolution und Experiment der Kunstausbildung. Kawasaki City Museum, Kawasaki, 1994, S. 160–162, hier: S. 161.
  2. ^ Yamawaki Iwao, “Keyaki (Japanische Zelkove)”. Atorie-sha (山脇巌:欅), Tokyo, 1942, S. 123.
  3. ^ Kawahata Naomichi, “川畑直道:山脇巌の生涯と作品” (Yamawaki Iwao – Sein Leben und Werk), in: Bauhaus Photography. Déjà-vu – A Photography Quarterly, No. 19, Spring 1995, Photoplanet, Tokyo, 1995, S. 34–79, hier: S. 36.
  4. ^ Neumann, Eckard (Hg.), Bauhaus und Bauhäusler. Erinnerungen und Bekenntnisse, DuMont Buchverlag, Köln, 1985, S. 337.
  5. ^ Yamawaki, Atorie-sha, 1942, S. 125.
  6. ^ Yamawaki Michiko, 山脇道子:バウハウスと茶の湯 (Bauhaus und die Tee-Kultur), Shincho-sha, Tokyo, 1995, S. 68.
  7. ^ Izutsu Akio, The Bauhaus a Japanese Perspective – And a Profile of Hans and Florence Schust Knoll, Kajima Institute Publishing, Tokyo, 1992, S. 32.
  8. ^ Yamawaki, Atorie-sha, 1942, S. 147.

Kokusai-Kenchiku (国際建築), Vol. 8, No. 12, Tokyo, Dezember 1932, S. 270–272 ff., S. 272.
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