Die Sozialisierung des Wissens und das Streben nach Deutungsmacht
Lena Bergners Transfer der Isotype nach Mexiko
Veröffentlichungsdatum: 07.2020
Lena Bergner (1906–1981) ist zu Unrecht eine Unbekannte im Bereich der neuen, sich visuell organisierenden globalen Medienkultur und ihrer Synthese mit soziologischen und städtebaulichen Entwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Charakterisiert wird Bergner normalerweise als am Bauhaus ausgebildete Textilgestalterin. Die meiste Zeit ihres zehnjährigen Aufenthalts im mexikanischen Exil (1939–1949) widmete sie sich allerdings der grafischen Gestaltung. Diese Projekte, die sie zusammen mit ihrem Mann Hannes Meyer realisierte, drehten sich fast ausschließlich um antifaschistische Politik, wie ihr Engagement für die Taller de Gráfica Popular (Werkstatt der Volksgrafiker) oder Propaganda zugunsten der Sowjetunion. Eine Ausnahme und deutliche Abgrenzung zu dieser populistischen, politisch aufgeladenen Arbeit mit zum Teil regressiven antitechnologischen Druckmedien sind ihre weitestgehend unbekannten Leistungen im Bereich der visuellen Kommunikation für das mexikanische Schulbaukomitee. Hier verwendete Bergner ein ganz anderes – fortschrittliches – Medium: die „Wiener Methode der Bildstatistik“ (Isotype), die der österreichische Nationalökonom Otto Neurath (1881–1945) in den Zwischenkriegsjahren zur Reform der Gesellschaft entwickelte. Es handelt sich um ein visuelles Hilfsmittel zur Wissensvermittlung, bei dem abstrakte, grafische Elemente kombiniert werden. Der Beitrag befasst sich mit diesem Ausnahmefall und erörtert den Transfer der Isotype von Europa nach Mexiko am Beispiel von Bergner und ihren möglichen Berührungspunkten mit Neuraths bildpädagogischen Methode. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie sich die Isotype von propagandistischen visuellen Kommunikationsformen abgrenzt.
Nach der mexikanischen Revolution (1910–1924) prägte der langwierige Kampf um Demokratie, Fortschritt und soziale Gerechtigkeit die neue Politik des jungen mexikanischen Staates. Auf die hohe Analphabetenrate reagierte diese Politik jedoch zunächst verhalten. Noch um 1940 konnte etwa die Hälfte der erwachsenen Mexikaner weder lesen noch schreiben.[1] Im Jahr 1944 waren von über fünf Millionen schulpflichtigen Kindern gerade einmal 2.765.000 zur Primarschule eingeschrieben; für alle anderen gab es keine Unterrichtsmöglichkeiten.[2] Zur Förderung des Schulbaus richtete der damalige Präsident Manuel Ávila Camacho im Februar 1944 ein staatliches Schulbaukomitee ein und beschloss ein Schulbauprogramm, dessen erster Bericht drei Jahre später erscheinen sollte.[3] In dem mehr als 420 Seiten umfassenden Report stechen Bergners Bildstatistiken zur Visualisierung der Schulsituation in den Bundesstaaten hervor. Sie lassen auf ihre Vertrautheit mit Neuraths bildpädagogischer Methodenarbeit schließen, mit der sie in ganz verschiedenen Situationen und geopolitischen Kontexten in Kontakt gekommen sein kann.
Am Bauhaus, wo Bergner von 1926 bis 1929 studierte, wurde sie nicht nur in der Webereiklasse ausgebildet. Eine Besonderheit ihres Studiums war dessen Ausweitung auf die Reklamewerkstatt und auf technische Fächer: Im ersten Studienjahr besuchte sie den Kurs „Schrift“ bei Joost Schmidt sowie den Unterricht zur Darstellenden Geometrie bei Friedrich Köhn (Dipl. Ing.) und im Fachzeichnen bei Karl Fieger (Architekt). Neben ihrer Ausbildung in neuen visuellen Darstellungstechniken und der Gebrauchsgrafik ist es zudem wahrscheinlich, dass Bergner bereits am Bauhaus ihre Bekanntschaft mit der „Wiener Methode der Bildstatistik“ (Isotype) machte. Dieses neuartige Bildsprachesystem zur Darstellung sozialer und ökonomischer Mechanismen geht auf Otto Neurath zurück.
Neurath leitete von 1924 bis 1934 das Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum in Wien. Der weite Umfang dieser Institution gab ihm die Möglichkeit, die „Wiener Methode der Bildstatistik“ in verschiedenen Auftragsarbeiten zu entwickeln. Zu seiner Unterstützung engagierte er ab 1925 Marie Reidemeister und ab 1929 Gerd Arntz als Chefgrafiker. Nachdem Neurath noch vor dem Ersten Weltkrieg auf einer Studienreise in die Balkanländer eine Analphabetenrate von 60 Prozent beobachtet hatte, war für ihn die Überwindung der Kluft zwischen Gebildeten und Ungebildeten zu einem Problem geworden, das er mit der Bildstatistik lösen wollte. Sein Ziel bestand in der Kreation von Piktogramm-ähnlichen Grafiken als Zähleinheiten für soziale Zusammenhänge, die auch Menschen mit mangelnder Lesekompetenz vermittelt werden konnten. Zudem wollte Neurath die Distanz zwischen Völkern und Sprachgruppen verringern – ein Ziel, das sich auf Versuche des Wiener Kreises stützte, standardisierte Ausdrücke zu formulieren, die kulturübergreifend funktionierten. Auf Einladung von Hannes Meyer, dem linksorientierten Nachfolger von Walter Gropius, referierte Neurath am 27. Mai 1929 am Bauhaus zu „Bildstatistik und Gegenwart“.[4]
Neurath war überzeugt, dass es auf Basis von technischen Innovationen möglich sei, die Lebensform zu ändern. Die Verpflichtung auf die Technik war aber kein spezifisch linksgerichtetes Phänomen.[5] Bereits mit der Ausrichtung des Bauhauses auf die industrielle Produktion ab circa 1923, als Gropius ihre Einheit mit der Kunst postulierte, wurde die Technik als bestimmende Kraft der Zeit anerkannt. Meyer demontierte diese Einheit allerdings, um den Technik-Begriff um eine soziale Kompetenz im Sinne einer Methode zu erweitern. Mit diesem Begriffsverständnis war die Übereinstimmung mit Neurath eklatant: Beide teilten die Auffassung, dass der Gestalter eine technische soziale Funktion haben sollte. Neurath bezeichnete diesen Gestalter-Typus als Gesellschaftstechniker. Er sollte, wie der mechanische Techniker, auf die Umgestaltung der Welt durch wissenschaftliche Arbeit abzielen – und zwar durch die systematische Analyse moderner Statistik. Meyer formulierte diesen Gedanken analog: „bauen ist kein ästhetischer prozeß[…] das funktionelle diagramm und das ökonomische programm sind die ausschlaggebenden richtlinien des bauvorhabens.[…] bauen ist nur organisation: soziale, technische, ökonomische, psychische organisation.“[6] Wie Meyer das „bauen“ betrachtete Neurath die Bildstatistik als Teil eines gesamtgesellschaftlichen Prozesses. Die Verwendung von universellen Kommunikationsformen würde helfen, diese Gesellschaft aufzubauen, wobei die Gemeinsamkeit zwischen Neurath und Meyer in der Forderung bestand, das Leben auf Grundlage moderner wissenschaftlicher Prinzipien zu reformieren, anstatt etwa auf anthroposophischen, nationalistischen, völkischen oder nazistischen Maximen. Es ist naheliegend, dass Bergner Neuraths Vorlesung zur Bildstatistik gehört hatte. Nach einem Praxissemester in der Färbereischule in Sorau im Winter 1928/1929 war sie seit April 1929 wieder am Bauhaus, wo sie die Leitung der Färberei in der Textilwerkstatt übernommen hatte.
Auch nach ihrem Studium gibt es Konstellationen, wie Bergner mit Neuraths Bildpädagogik in Berührung gekommen sein kann. Im Frühjahr 1931 schloss sie sich in Moskau der „Roten Bauhaus-Brigade“ an und begann in der damals größten Möbelstofffabrik der Sowjetunion eine Arbeit als Textilgestalterin. Auch Neurath ging 1931 nach Moskau. Er beteiligte sich dort am Aufbau eines neuen Instituts für Bildstatistik (Isostat), das auf Initiative der „Österreichischen Gesellschaft zur Förderung der geistigen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der UdSSR“ gegründet wurde.[7] Unterstützt von einem Expertenteam aus Wien verpflichtete er sich, bis 1934 zwei Monate pro Jahr sowjetische Zeichner und Linolschneider auszubilden. Nicht zuletzt da Bergner Teil des westeuropäischen Exilnetzwerks war, ist es naheliegend, dass sie über Neuraths bildpädagogische Methodenarbeit in der Sowjetunion in Kenntnis war, wenn der direkte Kontakt zwischen beiden auch unwahrscheinlich und nicht belegt ist.
Denkbar ist auch, dass Bergners Interesse an Neuraths Arbeit im sowjetischen Exil durch Meyers Verbindung zu Neurath begünstigt wurde. Im Jahr ihrer Ankunft in der Sowjetunion hatte sie Meyer geheiratet, der dort seit 1930 die pro-sowjetische Gruppe ehemaliger Bauhäusler anführte. Meyers und Neuraths Berührungspunkt in der UdSSR basierte wiederum auf ihrer Beteiligung an der CIAM („Congrès Internationaux d’Architecture Moderne“), einer Organisation, die sich zwischen 1928 und 1959 als Interessengruppe für Architekten und Stadtplaner in Kongressen manifestierte, die aber auch zwischen diesen Kongressen als Institution, vor allem von Zürich aus geleitet, funktionierte. Meyer war CIAM-Gründungsmitglied und gehörte zur Schweizer Delegation, welche die größte nationale Gruppe der CIAM stellte. Am vierten Kongress im Sommer 1933, der die sogenannte funktionelle Stadt behandelte, nahmen auch Neurath und seine Assistentin Marie Reidemeister teil. Meyer war indessen nicht vertreten. Er befand sich in der UdSSR, wo der Kongress ursprünglich stattfinden sollte. Realisiert wurde die CIAM IV stattdessen auf dem griechischen Mittelmeer-Kreuzfahrtschiff SS Patris II. Auch wenn die Führung der CIAM für das Scheitern in Moskau mitverantwortlich war, handelte es sich in erster Linie um das Ergebnis der Machtpolitik Stalins. Nachdem innersowjetische Debatten über den richtigen Weg zur Industrialisierung und Modernisierung der UdSSR zeitlich mit dem Kongress zusammenfielen, nutzte Stalin die Architektur und den Städtebau – und konkret die Absage des Kongresses – um seine Herrschaft zu legitimieren.[8]
Die CIAM bemühte sich ihrerseits ebenfalls um die Legitimation ihre Macht und Neuraths Teilnahme am vierten Kongress fällt fraglos unter dieses Register.[9] Für die CIAM-Logik war die Bildstatistik als visuelles Hilfsmittel wichtig, da mit ihr Vergleichbarkeit hergestellt werden konnte und sich ein Deutungsanspruch mit ihr verknüpft. Nicht wenige Delegierte hatten ihre analytischen Karten für den Kongress bereits entsprechend der Wiener Methode vorbereitet, wobei Neuraths Regeln unterschiedlich gut umgesetzt wurden.[10] In seinem Vortrag am 4. August zum Thema „L’urbanisme et le lotissement du sol en représentation optique d’après la méthode viennoise“ (Stadtentwicklung und Siedlungsbau als visuelle Repräsentation nach der Wiener Methode) erläuterte Neurath, wie die Bildstatistik dazu dienen konnte, die funktionellen Vorstellungen der Stadt, insbesondere ihre Aufteilung in die Bestandteile Wohnen, Verkehr, Arbeit und Freizeit, zu diskutieren.[11] Ausschlaggebend ist, dass diese funktionale Aufteilung in einer geradezu wissenschaftlichen Manier vollzogen werden konnte, so dass es möglich war, aus bestimmten Grundprinzipien die gleichen Funktionen für alle Städte auf der ganzen Welt zu erarbeiten. Daraus folgt, dass man Städte vergleichen wollte – ein Aspekt, der mit Neuraths Interesse an Internationalisierung zusammenfiel – mit Stalins Streben nach nationaler Hegemonie indessen im Widerspruch stand. Für Stalin hatte Stadtplanung keinen Nutzen, wenn sie nicht auf ideologischen Werten beruhte: Die Stadt sollte das Leben im Sozialismus repräsentieren und die funktionale Stadt hatte wenig zur Schaffung einer solchen Stadt beizutragen.[12] Stalin lehnte sich gegen das Ideal einer Stadt nach Maßstäben der Vergleichbarkeit und der Internationalisierung und implizit gegen die Bildstatistik gemäß Neuraths Prinzipien.
Dabei hatte die UdSSR ursprünglich nach außen hin das Image eines Landes etabliert, in dem sich der Wunsch nach Internationalisierung mit dem nach Wissenschaftlichkeit verknüpft, und durch diese Außendarstellung bis in die 1930er-Jahre westliche Experten, zu denen Neurath und Bergner gehörten, angezogen. Auszurichten hatten diese Spezialisten ihre Arbeit aber an den nationalen Interessen – an Stalins Propaganda- und Repressionsapparat, der innerhalb des Landes massive Zwangsmaßnahmen durchsetzte und jede Opposition gegen die Parteilinie exterminierte. Bergner stellte ihr Schaffen als Textilspezialistin in den Dienst der Umsetzung der ersten beiden Fünfjahrespläne und der Propaganda, so dass ihre Textilentwürfe politische Thesen, Motive der Roten Armee und dekorative folkloristische Designs für Möbelstoffe zeigen. Auch das dem Zentralen Exekutivkomitee der UdSSR unterstellte Isostat-Institut war zum Zweck der Umsetzung der sowjetischen Planwirtschaft gegründet worden. Die Nutzung der Bildstatistik für planwirtschaftliche Aufgaben war für sich genommen nichts, was Neurath widerstrebte – im Gegenteil: bereits 1926 erklärte er: „Statistik ist Notwendigkeit für planmäßige Wirtschaft, daher ist Statistik Sache des sozialistischen Proletariats!“[13] Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass in den bildstatistischen Bänden des Instituts idealisierte Darstellungen der Ergebnisse des ersten Fünfjahresplans abgedruckt wurden und dass auch die prognostische Fortschreibung der ökonomischen und sozialen Tendenzen für den zweiten Fünfjahresplan nicht nach wissenschaftlicher Maßgabe erfolgt war. Gerd Arntz, der mehrmals in Moskau als Ausbilder tätig war, berichtete, dass die Statistiken bei Isostat vorgegeben wurden, während es am Wiener Museum eine eigene Abteilung zur Ermittlung der Datengrundlage gab.[14] Stalin nutzte die Bildstatistik nicht nur als planwirtschaftliches Instrumentarium zur Legitimation seines autokratischen Systems, sondern auch als massenwirksames Propagandamittel in Zeitschriften, Ausstellungen und Bahnhöfen, wo sie politisch aufgeladen und mit Auszügen von Parteitagsbeschlüssen und Zitaten Stalins kombiniert wurden.[15] Ohne Frage handelte es sich hier um einen verklärenden propagandistischen Missbrauch der Bildstatistik, der aus Stalins nationalem Hegemoniestreben resultierte.
Sein Ziel, die Informations- und Wissensvermittlung zu internationalisieren, verwirklichte Neurath außerhalb der UdSSR. Er förderte Gründungen von Institutionen mit ähnlichen Zielsetzungen (etwa den Aufbau des Mundaneums in Brüssel mit einer Zweigstelle in Wien), etablierte Niederlassungen seines Wiener Museums in Den Haag, Prag, Berlin, Amsterdam, London und New York und organisierte 1932 die Bewegung „International Unity of Science“, wobei er die „Wiener Methode der Bildstatistik“ in „International System of Typographic Picture Education“ (Isotype) umbenannte. Im selben Jahr gründete er die „International Foundation for Visual Education“, ebenfalls mit Geschäftsstellen in mehreren europäischen Hauptstädten. Anfang 1937 reiste Neurath nach Mexiko-Stadt, um am neu gegründeten Museum für Wissenschaft und Industrie sechs Wochen lang mexikanische Mitarbeiter mit der Isotype-Methode vertraut zu machen.[16] Ob und wie die Bildstatistik in diesem Museum Verwendung fand und ob Bergner eine entsprechende Schau besuchte, ist nicht überliefert.
Belegen lässt sich hingegen die Verwendung von Neuraths grafischen Methoden acht Jahre später im Rahmen der ersten Ausstellung des nationalen Schulbaukomitees, „Exposición Anual del Programa Federal de Construcción de Escuelas“, die von Hannes Meyer organisiert und am 21. August 1945 im Palacio de Bellas Artes eröffnet wurde. Im Mittelpunkt der Schau stand eine von Lena Bergner erstellte großformatige Karte der mexikanischen Republik. Anders als im unveröffentlichten Dreijahresreport des Bundeschulbaukomitees verwendete Meyer-Bergner auf der Karte noch keine Bildzeichen. Nichtsdestotrotz entspricht die Organisation der Informationen dem methodischen Vorgehen Neuraths. Für jeden Bundesstaat notieren die Grafiken in zwei Abschnitten, wie viele Schulen im Jahr 1945 existierten und wie viele Schulen bis 1946 noch gebaut werden sollten. Der Report, der zwei Jahre später erscheinen sollte, stellt zusätzlich die jeweiligen Schulpopulationen dar, ebenfalls in Gegenüberstellung von aktuellen und zukünftigen Schülerzahlen. Bemerkenswert ist, wie Bergner mit dem Wechsel von weiblichen und männlichen Figuren die Gleichstellung der Geschlechter zum Ausdruck bringt. Wie bei den Bildstatistiken nach Neurath macht sie Angaben zur Rückrechnung der Symbole in Mengenangaben, etwa „cada simbolo = 50 alumnos“ (jedes Symbol = 50 Schüler).
Am Wiener Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum waren für die Umrechnung der statistischen Daten spezielle Assistenten verantwortlich. Wie diese sogenannten „Transformatoren“ nutzte Bergner nicht nur die Vervielfachung, sondern auch die Halbierung der Piktogramme, um die Daten adäquat abzubilden. Durch die strenge Standardisierung konnten die Informationen für die einzelnen Staaten leicht verglichen werden, womit entwicklungsschwache Regionen sofort sichtbar waren. Vor allem konnte die Situation zum Schulbau in Mexiko anhand Bergners Bildstatistiken genau jener Bevölkerungsgruppe vermittelt werden, die von der hohen Analphabetenrate betroffen war. Gegen Ende des Jahres überführte Meyer die Exposición in eine Wanderausstellung, woraufhin sie bundesweit gezeigt werden sollte; realisiert wurde das letztendlich nur in Monterrey, Nuevo León.[17]
Bis 1946 beteiligte sich Bergner in Mexiko an weiteren Wanderausstellungen, von denen [18] der Propaganda der sowjetischen Kultur galten.18 Ihr Beitrag für das Schulbaukomitee steht im Kontrast dazu. Mit ihrer bildpädagogischen Arbeit knüpfte Bergner an die Bestrebungen der Vereinfachung der Wissensvermittlung zu Beginn des 20. Jahrhunderts an, die sich als Reaktion darauf verstehen, dass im 19. Jahrhundert mit dem explodierenden Informationsaufkommen die mediale Kommunikation – und davon nicht unabhängig auch gesellschaftliche Prozesse – immer unübersichtlicher geworden waren. Sie war diesbezüglich Teil einer auf Internationalisierung und Vergleichbarkeit aufbauenden visuellen Kommunikationskultur, die in der Vorzeit der Periode faschistischer und totalitärer Systeme ihren Anfang genommen hatte.
Footnotes
- ^ Hannes Meyer: „Schulbau in Mexiko“, in: Bauen und Wohnen, Nr. 1, 1951, S. 10.
- ^ Hannes Meyer: „Vom Schulbauwesen in Mexiko“, 15.2.1950, 11-seitiges Manuskript, DAM, NL Hannes Meyer, Inv.-Nr. 164-202-014.
- ^ Unveröffentlichte, unvollständige Blattsammlung (ungebunden, geklammert): Memoria de la Primera Planeación de la República Mexicana. 1944 1945 1946, Auftraggeber: Comité Adminstrador del Programa Federal de Construcción de Escuelas, Mexiko, DAM, NL Hannes Meyer, Inv.-Nr. 164-801-009. Unveröffentlichte, unvollständige Blattsammlung (ungebunden, geklammert): Memoria de la Primera Planeación de la República Mexicana. 1944 1945 1946, Auftraggeber: Comité Adminstrador del Programa Federal de Construcción de Escuelas, Mexiko, DAM, NL Hannes Meyer, Inv.-Nr. 164-801-009.
- ^ Günther Sandner: Otto Neurath. Eine politische Biographie, Zsolnay, Wien 2014, S. 195.
- ^ Vgl. Peter Galison: „Die Gastlehrer des Wiener Kreises: Rudolph Carnap, Herbert Feigl, Otto Neurath, Hans Reichenbach“, in: Philipp Oswalt (Hrsg.): Hannes Meyers neue Bauhauslehre. Von Dessau bis Mexiko, Birkhäuser, Basel 2019, S. 346.
- ^ Hannes Meyer: „bauen“, in: bauhaus, Zeitschrift für Gestaltung, Dessau, Jg. 2, Nr. 4, 1928, S. 2, abgedruckt in Lena Bergner: Bauen und Gesellschaft: Schriften, Briefe, Projekte. Hannes Meyer, Verlag der Kunst, Dresden 1980, S. 47–49.
- ^ Vgl. Julia Köstenberger: „Otto Neurath und die Sowjetunion“, in: Linder Erker et al. (Hrsg.): Update! Perspektiven der Zeitgeschichte, Studienverlag, Innsbruck 2012, S. 104. Laut Köstenberger spielte die Vermittlungstätigkeit der sowjetischen „Allunionsgesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland“ (VOKS) beim Zustandekommen dieser österreichisch-sowjetischen Kooperation ebenfalls eine Rolle.
- ^ Zur Geschichte der Vorbereitung und des anschließenden Scheiterns des vierten CIAM-Kongresses in Moskau siehe Thomas Flierl: „Der CIAM-Protest: Von Moskau zur Patris II (1932)“, in: Marion von Osten und Grant Watson (Hrsg.): bauhaus imaginista, Scheidegger & Spiess, Zürich 2019, S. 194–201; sowie Thomas Flierl: „The 4th CIAM Congress in Moscow. Preparation and Failure (1928–1933)“, in: Quaestio Rossica, Jg. 4, Nr. 3, 2016, S. 19–34. Flierl erläutert, dass in der Abfolge der Ereignisse sich Stalins Zurückweisung der CIAM als Reaktion auf deren Protest gegen das Ergebnis des Wettbewerbs für den Palast der Sowjets versteht. In der Perspektive der CIAM bedeutete die Absage wiederum einen Wendepunkt für die Organisation, indem die CIAM-Mitglieder, die sich in der Sowjetunion aufhielten – neben Meyer gehörten Mart Stam und Hans Schmidt dazu – in die Defensive gerieten.
- ^ Enrico Chapel legt nahe, dass Neuraths Einladung zur Teilnahme an der CIAM IV der gegenseitigen Legitimation dienen sollte – der Architekten auf der einen und Wissenschaftsphilosophen auf der anderen Seite; vgl. Enrico Chapel: „Otto Neurath and the CIAM. The International Pictorial Language as a Notation System for Town Planning“, in: Elisabeth Nemeth und Friedrich Stadler (Hrsg.): Encyclopedia and Utopia: The Life and Work of Otto Neurath (1882–1945), Kluwer Academic, Dordrecht 1996, S. 176.
- ^ Nadar Vossoughian: Otto Neurath. The Language of the Global Polis, NAi Publishers, Rotterdam 2011, S. 123.
- ^ Eric Mumford: The CIAM Discourse on Urbanism, 1928–1960, The MIT Press, Cambridge/MA 2000, S. 84.
- ^ Flierl 2016, S. 21.
- ^ Otto Neurath: „Statistik und Proletariat“, in: Kulturwille, Jg. 4, Nr. 9, 1926, S. 186, in: Rudolf Haller und Robin Kinross (Hrsg.): Gesammelte bildpädagogische Schriften, S. Hölder-Pichler-Tempsky, Wien 1991, S. 78–84, hier S. 78.
- ^ Gerd Arntz: „Der Ludergeruch der Revolution“, in: Ästhetik und Kommunikation, Jg. 7, Nr. 29, 1977, S. 4–19, hier S. 12.
- ^ Köstenberger 2012, S. 105.
- ^ Sandner 2014, S. 244.
- ^ Hannes Meyer an Kay Adams am 18.11.1945, DAM Frankfurt a.M.: NL LMB: Abschrift Korrespondenz mit K.B. Adams, Inv.-Nr. 164-901-001; Hannes Meyer, Manuskript: Analyse der Situation in Mexiko, o.D., DAM Frankfurt a.M.: NL HM, Inv.-Nr. 164-201-075.
- ^ Zu Meyers und Bergners Ausstellungsarbeit für die UdSSR aber auch gegen den Nazi-Terror in Europa siehe Raquel Franklin: „Of Art and Politics. Hannes Meyer and the Workshop of Popular Graphics“, in: bauhaus imaginista: Online-Journal, Edition 2, Learning From, 2018, URL: www.bauhaus-imaginista.org/articles/2771/of-art-and-politics (8.7.2020). Bereits 1943 gestalteten Bergner und Meyer für die erste Buchmesse in Mexiko den Pavillon des Hilfskomitees, das die UdSSR im Krieg unterstützte.