„Alle Künstler verzahnt Euch!“
Bauhäusler gestalten das „Neue Deutschland“ und werben für die volkseigene Wirtschaft

Simone Hain
Veröffentlichungsdatum: 12.2019

Das „Dritte Reich“ liegt in Trümmern, die Kapitulation ist noch nicht unterzeichnet. Mühsam arbeitet sich ein Architekt durch die Trümmer zum Schöneberger Rathaus vor – und findet dort an der Tür des Bauamtes bereits ein Schild mit seinem Namen. Baustadtrat Hans Scharoun wird von der kommunistischen Partei in ein Amt eingesetzt und schaut sich sofort nach seinen Leuten um: „Ich habe Euch schon überall gesucht, wo steckt ihr denn? Es geht los!“. Mit „den Leuten um Gropius und Hilberseimer“, die Scharoun umgehend in amtliche Stellungen bringt, sind Wils Ebert und Selman Selmanagić gemeint, zwei aus dem Studierenden-stärksten Jahrgang des unter Hannes Meyer ziemlich „proletarisch“ gewordenen Bauhauses. Die beiden, der gelernte Schlosser ein Sozialdemokrat, und der Tischler ein Kommunist, werden gemeinsam mit Albert Buske, Max Gebhardt und Waldemar Alder umgehend beginnen, mit dem Blick etwa vierzig Jahre voraus, in allen Feldern von Gestaltung und Neuaufbau strategische Kollektive zu gründen: Ein Messekollektiv, ein Möbelkollektiv, ein Kollektiv für Industriebau, ein Kollektiv für die Reform der Kunsthochschulen und eben jenes, das als Planungskollektiv fünf Jahre lang den Wiederaufbau der deutschen Hauptstadt Berlin leiten wird.

Man wird darin leicht das co-op-Prinzip der Ära Meyer wiedererkennen, durch Personalunion über Hajo Rose auch eine Reminiszenz an co-op 2 entdecken, jenes Werbebüro in Amsterdam, das mit dem holländischen Widerstand verknüpft war. Bauhauszugehörigkeit und/oder Kontakt zur ABC-Gruppe Basel, Widerstandserfahrung und langjährige Mitgliedschaft in einer der marxistischen Parteien, ob nun KPD, KPO oder SAP sind die Grundlagen für die ausgesprochen wirkungsvollen Netzwerkstrukturen, in denen aus Holland kommend Mart Stam, Ida Falkenberg-Liefrinck und Hajo Rose, aus den Konzentrationslagern Buchenwald und Sachsenhausen befreit Franz Ehrlich und Kurt Junghanns, der ganze Freundeskreis aus Hagen Albert Buske, Max Gebhard, Waldemar Alder, Heinrich Brocksieper sowie an verschiedenen Orten Hubert Hoffmann und Kurt Kranz, Herbert Hirche, Joost Schmidt, Alfred Arndt, Klaus Wittkugel, Theo Balden, Gustav Hassenpflug, Peter Keler und Marianne Brandt gehörten.

Sie alle waren über die Hellerauer Werkstätten, das Leipziger Messeamt, diverse Wideraufbaukollektive in Dresden, Dessau, Thüringen und Versuche zur Wiedereinrichtung des Bauhauses dauerhaft als fast schon institutionalisierte kooperative Bauhausstrukturen miteinander verbunden. Viele von ihnen waren Mitglieder der Roten Zelle respektive der KOSTUFRA (Kommunistische Studentenfraktion) und, vor allem in der Berliner Zeit des Bauhauses, des Kollektivs für sozialistisches Bauen im Umfeld der MASCH (Marxistischen Arbeiterschule) gewesen. Da Mies van der Rohe seine Studenten auch bei Heinrich Tessenow und Hans Poelzig hospitieren ließ, trafen sie an der TU Charlottenburg Kommilitonen, die neben dem Studium überwiegend für die GEHAG (Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft) arbeiteten. Daher war, neben den parteipolitisch rasch etablierten Netzwerken, die Verbindung mit Industrie und Außenwirtschaft und die berufspraktische Verknüpfung mit der kommunalen Wohnungswirtschaft groß.

„Stadtplanung, Messebau, Werbung, das war für uns politische Arbeit“[1], äußerte sich Selman Selmanagić dazu. In Korrespondenzen und Besprechungsprotokollen aus dem Nachlass sieht man, wie einer vom anderen übernimmt. Albert Buske richtet das Messeamt ein. Selmanagić handelt aus, Wils Ebert vertritt ihn, Kurt Kranz oder Hajo Rose setzen die gemeinsame Arbeit grafisch ins Bild. Die Leistung erstreckt sich über die volle Breite des bauhäuslerischen know-hows: Architektur, Inneneinrichtungen, Keramik, Farbgestaltung, Signets, Briefköpfe und vor allem völlig neuartige Messegestaltungen. Dazu kommen wiederaufgebaute Fabriken, Druckereien, Ausstellungen für China, Rumänien und Bulgarien. Mehr als zwei Dutzend Kollektivausstellungen, davon vier im Auftrag der Republik China, verantwortet allein Selmanagić persönlich, der auf diese Weise den Ruf des Bauhauses bis Peking oder Kairo trägt.[2]

Von all diesen co-op-förmigen Kollektiven ist das Berliner Planungskollektiv am besten erforscht, das von ihm erarbeitete Planwerk aber noch nie als Derivat aus dem Bauhaus und schon gar nicht als dem Programm nach kommunistisch betrachtet worden.[3] Das liegt daran, dass der namhafte Berliner Kollektivplan von 1946 meist, wenngleich zu Unrecht, als Scharounplan bezeichnet wird. Wie in all den anderen Fällen von Bauhäusler-Kollektiven der Zeit hatte zum Beschluss einer Zusammenarbeit allein ein Handschlag genügt. Wie bei dem umfangreichen Planwerk selbst wird man auch bei der Gestaltung der partizipativ angelegten Ausstellung Berlin plant. Erster Bericht und Berlin baut auf bei genauer Analyse die Herkunft vom Bauhaus erkennen.[4]

Meine zentrale These ist, dass bereits unmittelbar nach dem Krieg eine Gruppe von Gestaltern das Erbe des Meyer’schen Bauhauses antritt, indem sie auf dem Gebiet der Werbung, der Ausstellungsgestaltung, bei der Möbelproduktion und in Planwerken für Berlin, Dessau und Dresden Grundlagenarbeit für eine planwirtschaftlich geführte, volkswirtschaftlich gedachte und umfassend kooperative Gesellschaft leistet. Es ist die auch ästhetisch versiert vorgetragene Vision für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft, wie sie zuletzt am Bauhaus im Jahr 1930 virulent war. Die kleinen Gruppen sind über politische und kirchliche Widerstandsstrukturen gut vernetzt und verfügen wie das Berliner Kollektiv über ein entwickeltes raumplanerisches Instrumentarium und ausdifferenziertes visuelles System volksbezogener Zeichen, dessen Tonalität und Sinn sich aus Möbeln, aufwändig gestalteten Werbeprospekten, Raumbildern und Sprechakten objektiv hermeneutisch herausfiltern lässt. Folgende Merkmale fallen bei einer solchen Analyse ins Auge: Die Idee der gemeinnützigen Kollektivarbeit und sozialisierten Produktion, das Konzept von Volksbedarf auf der Grundlage von „Brüderlichkeit“ (Mart Stam), ein besonderes Interesse an räumlichen Organisationsformen von Freizeit und Muse in Gestalt von Promenaden, Sportstätten und Klubs sowie last but not least die surrealistische Bildsprache.

Das alles kann als Widerschein jener Bauhaus-Ära gesehen werden, in der sich die innovativsten Philosophen, Psychologen und Kunsttheoretiker der Zeit als Gastdozenten begegnet waren, neben dem Lehrer für „Literatur, Werbung, Typo“ Karel Teige beispielsweise die Repräsentanten des logischen Empirismus und der Gestaltpsychologie. Aus den Erinnerungen der damals Studierenden erfahren wir, dass diese Gastlehrer ihnen als veritable Therapeuten, Poeten und Zauberer gegenüber traten, indem sie ihnen sowohl den „logischen Aufbau der Welt“ (Rudolf Carnap), den Emanzipationsgedanken von Karl Marx („disposable time“) sowie „Komplexqualitäten der Gestalt“ (Felix Krueger) ans Herz legten.[5] Die „Aktivisten der ersten Stunde“[6], aus dem Freundeskreis um Hajo Rose, Umbo und Fritz Kuhr waren begeisterte Hörer von Karlfried Graf Dürckheim, Otto Neurath, Rudolf Carnap, Karl Duncker und Karel Teige gewesen und alle hatten im Moment der Krise, wie Selmanagić beteuert, „fanatisch“ ihrem charismatischen Lehrer Hannes Meyer angehangen. Vor allem er hat in seinem Dessauer Direktorat mit dem co-op Gedanken wirkungsvoll Schule gemacht, aber auch Mies van der Rohe und Richard Neutra haben in ihrer großzügigen Art und über die transzendente Entspanntheit ihrer Architektur ebenso deutliche Spuren hinterlassen: Bauen und die Sinneswelt[7] lautete die stille Übereinkunft der letzten, gestaltpsychologisch, marxistisch und zugleich surrealistisch trainierten Schülergeneration des Bauhauses. Und es scheint Neutras Sommerkurs von 1930 gewesen zu sein, der die verschiedenen biologischen, therapeutischen und soziologischen Ansätze synthetisiert und damit den Übergang von Meyer zu Mies van der Rohe vermittelt hat.

 

Bauhäusler besetzen die Schaltzentralen der Wirtschaft

Ehe noch an die Besetzung von Lehrstühlen und die Architektenausbildung zu denken ist, besetzen die vernetzten Bauhäusler und ehemaligen MASCH-Hörer 1945 die Schaltzentralen der Wirtschaft. Vor allem in Sachsen und Brandenburg bilden sich Planungsgruppen und insbesondere um die Hellerauer Werkstätten in Dresden gruppieren sich die Mitglieder der Dessauer Ausbauwerkstatt. Sie bewerben die Idee des Sozialismus bei den Messen mit surrealistisch ins Schweben gebrachten Produkt-Assemblagen und nehmen im gleichen Atemzug die sozialräumliche Verteilung der Produktivkräfte in regional komplex vernetzten Strukturplänen für die nächsten 40 Jahre vorweg.

Die Bauhäusler Franz Ehrlich, Selman Selmanagić und Herbert Hirche sind gemeinsam mit der dem Rotterdamer De Opbouw zugehörigen Architektin Liv Falkenberg-Liefrinck bei den Hellerauer Werkstätten an der Gestaltung der Leipziger Messen, der SED-Parteischule Kleinmachnow, der Wirtschaftsschule in Plessow und der Verwaltungsakademie Forst Zinna beteiligt und entwerfen überdies Wohnungseinrichtungen für die aus der Emigration zurückkehrenden Künstler, unter anderem für den Maler Max Lingner und den Schriftsteller Friedrich Wolf. Acht Jahre lang[8] prägen die Deutschen Werkstätten Hellerau des VVB Sachsenholz mit ihrer laufenden Produktion für zentrale Dienststellen, Parteischulen und Wirtschaftsverbände (wie den KONSUM) das Erscheinungsbild der neu geschaffenen Institutionen. Vom Besucherzimmer des Präsidenten Wilhelm Pieck bis zu den ersten ausländischen Messeauftritten präsentiert sich die sowjetisch besetzte Zone beziehungsweise die junge DDR ausgesprochen modern. So exklusiv einzelne Regierungsaufträge auch sein mögen, Hellerau wirkt mit Prototypen und Musterbüchern durchaus auch in die Breite. In über einer Million Exemplaren wird Selmanagićs Seminarstuhl aus Bugholz in die Universitäten und Hochschulen einziehen. In manchem wissenschaftlichen Institut hält man bis zum Ende der DDR ein Professorenzimmer mit Schreib- und Besprechungstisch als Gruß vom Bauhaus in großen Ehren.

Vor allem in Dresden, wo in der kommunistischen Gruppe um den Buchenwald-Kapo und Ehrlich-Freund Robert Siewert der Ehemann von Liv Falkenberg, Otto Falkenberg, die wirtschaftliche Neuorganisation leitet, steht von Anfang an fest, dass die angestrebte Sozialisierung des kriegszerstörten Deutschlands gestalterisch auf den Funktionalismus und das Neue Bauen gründen müsse. Hier führen Franz Ehrlich, Kurt Junghanns und ab 1948 Mart Stam den Wiederaufbau an. Den Berliner Friedrichshain enttrümmert Edmund Collein und in Potsdam arbeitet ein weiteres Bauhäusler-Kollektiv zusammen mit den „roten Gärtnern“ aus dem Umfeld von Herta Hammerbach.

Alles schaut damals nach Rotterdam. Warschau, Dresden und Berlin enttrümmern und planen mit der Vorzeigestadt des Wiederaufbaus um die Wette, Hans Schmidt-Basel wirbt seit 1945 überall in Vorträgen für die „Lex Bernoulli“[9]: Kommunalisierung von Grund- und Boden, einheitliche Gestaltung, von großer Hand. „Rekultivierung der ausgebrannten Kultursteppe“ nennt Hans Scharoun das Projekt, das dank der Gärtner unter dezidiert „grünen“ Vorzeichen steht. Wer wird den Nachwuchs auf diese Aufgabe vorbereiten? Das Bauhaus jedenfalls ist tot, die Autoritäten sind in alle Richtungen der Emigration zerstreut, Hannes Meyer in Mexiko, Richard Paulick in China, Martin Wagner in den USA.

 

Kämpfe um die Schule

Diejenigen, die man auf der Suche nach geeigneten Hochschullehren für den Neuaufbau der Architektenausbildung offensichtlich erreichen und sofort gewinnen kann, sind Otto Haesler, Edvard Heiberg und Mart Stam. Aus Gründen der Eignung zum Vortragenden und wohl auch der pädagogischen Erfahrung, konzentriert sich alles Bemühen der zuständigen staatlichen Stellen auf Stam, den Leiter der Amsterdamer Kunstgewerbeschule. Er soll, parallel zu Hubert Hoffmann in Dessau, wie es das Neue Deutschland bereits herausposaunt, dafür sorgen, dass es ein neues Bauhaus geben wird.[10]

Als Stam Ende des Jahres 1948 in die Sowjetische Besatzungszone übersiedelt, erhofft sich nicht allein die kleine Bauhausgemeinde einen systematischen kunstpädagogischen und entwurfstheoretischen Neubeginn. Er kommt immerhin mit Unterstützung der Sowjetischen Militäradministration (SMAD), wird seit längerem vom Dresdener Oberbürgermeister erwartet und agiert mit höchster politischer Protektion: In Sachsen ist der zuständige Kulturoffizier Alfred Schnittke Mitglied der Moskauer CIAM-Gruppe gewesen und in Berlin hält in der Staatlichen Kunstkommission Gerhard Strauss schützend die Hände über den Versuch, die beiden Dresdener Ausbildungsstätten zu reorganisieren. Obwohl es dort bereits keine Architekturausbildung mehr gegeben hat, will Stam die Akademie für bildende Künste und die Hochschule für Werkkunst unter dem Primat der Architektur mit akzentuierter Ausrichtung auf Förderung der Industrie- und Alltagskultur vereinen.

Angesichts der Situation im traditionalistisch orientierten Dresden mit seinen starken Künstlerpersönlichkeiten aus dem Kreis der ASSO (Assoziation der proletarisch- revolutionären Künstler) ist die Benennung Stams zum Nachfolger des schwer an Tuberkulose erkrankten Hans Grundig ein riskanter Akt, weil damit spätere Konflikte um den Kunstbegriff als solchen vorprogrammiert sind. Aber die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten und das sächsische Wirtschaftsministerium wollen ein neues Bauhaus[11], sie wollen die denkbar enge Verknüpfung von Gestaltung und Produktion, für die Stam, übrigens „nach tschechischem Vorbild“, eine beeindruckende Konzeption unterbreitet.[12] Unter der Überschrift „Das Bauhaus in Dessau kommt wieder“ hatte das die SED-Parteizeitung Neues Deutschland bereits am 6.2.1948 ausgesprochen positiv über Hubert Hoffmanns anhaltinische Initiative berichtet:

 

 

„Die Art des Kunstbekenntnisses von gestern und des damit zusammenhängenden Studiums der Natur bestand in einer, man kann wohl sagen, peinlich differenzierten Erforschung der Erscheinung… Demgegenüber wurde die Kunst des Betrachtens und des Sichtbarmachens unoptischer Eindrücke und Vorstellungen vernachlässigt. Die Bauhausmeister vermachten ihren Schülern ein ,Zweites Gesicht‘: sie weckten in ihnen den Sinn des Schürfens nach dem Kern der Dinge.“[13]

 

 

Als ehemaliger Lehrer am Bauhaus, Favorit für die Gropius-Nachfolge und weithin bekannter architektonischer Wundertäter[14] ist Stam erste Wahl, um die Bauhausreorganisation hochschulpolitisch voranzutreiben. Nachdem sich Hermann Henselmann in Weimar als ungeeignet erwiesen hat, weil er für seinen auf allzu viele politisch kompromittierte Mitarbeiter gestützten Versuch der Neugründung weder die Unterstützung der kommunistischen Bauhäusler noch die Zustimmung von Walter Gropius[15] finden konnte, rückt Stam über die Dresdener Freundeskreise ins Zentrum der kommunistischen Kaderpolitik. Ein, diesmal nicht durch Gropius anfechtbarer Name ist mit „bauschule“ ebenso rasch und urheberrechtlich umsichtig gefunden wie die geeigneten Räumlichkeiten – draußen in der Dalcroze-Schule mit dem Festspielhaus in Hellerau. „dieses schulgebäude ist vorläufig als ideal zu betrachten für die neue kunsthochschule dresdens – ein ordentlicher schulbau mit möglichkeit des internats, des arbeitens nach der natur und des praktischen arbeitens in und mit den deutschen werkstätten, die sich ja in nächster nähe der tessenowschule befinden.“[16] Hellerau, die Siedlung mit dem strahlkräftigen Möbelwerk, in der Lotte Beese vor ihrer Bauhauszeit Sekretärin war und wo auch Ida Falkenberg den Beruf der Tischlerin gelernt hatte, soll jetzt allgemein Schule machen.[17]

 

Mart Stams „bauschule“ in Dresden

Stams Aktivitäten sind eingebettet in die unter kommunistischer Führung stattfindende Neuordnung der Kunst- und Architektenausbildung. In regelmäßigen Konferenzen trifft er mit den anderen Hochschulleitern zu Abstimmungen und Erfahrungsaustausch zusammen. Die Protokolle jener Treffen lassen erkennen, dass es Stam über die übliche programmatische Säuberung der Schulen hinaus vor allem um methodische Fragen des Kreativitätstrainings und der Persönlichkeitsentwicklung geht. Während er sich kompromisslos von durch NSDAP-Aufträge kompromittierten Lehrkräften trennt, hat er andererseits keine Bedenken 1949 Marianne Brandt zu berufen, die ihn in aufrichtiger Weise darauf hinweist, dass auch sie Mitglied der Reichskulturkammer gewesen sei. Eine lupenreine revolutionäre oder widerständische Vergangenheit seiner Professoren scheint ihm weniger wichtig zu sein, als die gemeinsame avantgardistische Konzeption und didaktische Erfahrung. An John Heartfield, den er für Grafik berufen wollte, schreibt er am 4.10.1949:

 

 

„vor etwa einem jahr haben auch wir das arbeitsgebiet im westen (holland) gerne im stich gelassen, um uns hier den großen aufgaben des demokratischen neuaufbaus zu widmen. wir sind vollauf dabei, die erziehung des künstlerischen nachwuchses neu zu formen und glauben, daß auch sie dabei einen wesentlichen beitrag geben können.“[18]

 

 

Stams Besetzungsliste ist bezeichnend: Fritz Koelle (Plastik), Heinz Lohmar (Zeichnen und Malen), Lex Metz, Hajo Rose (Farbe, Form, Schrift), Guido Reiff (Literaturgeschichte), Helmuth Prange (Bühnengestaltung), Erich Nicola, Günther Strupp, Otto Winkele (Stein, Holz, Plastik), Marianne Brandt (Metall, Keramik, Holz), Hans Christoph (Werbung), Stephan Hirzel (Werkkunde), Rudi Högner (Textil) sowie die Berliner Künstler Arno Mohr, Horst Strempel, René Graetz und Rudolf Bergander, die er als geschlossene Gruppe aus Weißensee nach Dresden zu berufen versucht. Für die sozialwissenschaftlichen Fächer gewinnt Stam den Philosophen Hermann Ley, den Schriftsteller Ludwig Renn (Kunstgeschichte), Rudolf Neubert (Anthropologie und Sexualwissenschaften) sowie Will Grohmann (Kunstkritik). Hoch interessant ist der Versuch, in Dresden einen Ableger der Frankfurter Schule zu etablieren und im Umfeld der von Stam geleiteten Schule sozialwissenschaftliche Forschung zu betreiben. „Das Neue Dresden“ soll offensichtlich ein bisschen „Neues Frankfurt“ und noch mehr „Prager Schule“ des Funktionalismus sein.[19]

Stam beginnt nicht allein verkrusteten Akademiestrukturen aufzubrechen, sondern avisiert eine völlig neue Funktionalität der Kunst als planwirtschaftlich zu entfaltende industrielle Sachkultur wie als eine Lebensweise. Er setzt dem Kult des Künstlerindividuums und der Tafelmalerei für das bürgerliche Interieur die Praxis der Malerkollektive entgegen, die 1949 an großen Wandbildern für den öffentlichen Raum arbeiteten. Bestrebt, den alten Lehrkörper schrittweise durch neue Kräfte zu ersetzen, entwickelt er eine aktivistische, lebensreformerische Hochschulpädagogik, die eine ausgesprochen körperliche Komponente hat. So greift er das Dalcroze-Konzept auf und lässt den Unterricht durch zyklische rhythmische Übungen unterbrechen. Während er durch persönliche Spenden tatkräftig die Jazzband der Hochschule unterstützt, macht er sich bei der trinkfesten Bohème gleichzeitig wieder unbeliebt, weil er bei Festen strikte Abstinenz gebietet. Diese Askese, seine in Zusammenarbeit mit Hans Kinder entworfene, äußerst noble Ausstattung der 2. Deutschen Kunstausstellung und die Kontakte zu den Dresdener Anthroposophen, die damals die fortschrittlichste Schule der Stadt betreiben, qualifizierten ihn in den Augen der wachsamen Konkurrenz schon bald zum „Salonkommunisten“. Besonders angreifbar – und unter Männern lächerlich – machte er sich durch einen, von der politisch hoch engagierten Mutter übernommenen Feminismus und seine liebevolle Abhängigkeit von seiner Frau Olga Stam-Heller.

Vor allem die Dresdener Maler sehen Stams Konzept als einen Frontalangriff auf das Akademieprinzip und die Meisterateliers an. Sie nehmen ihrerseits den Kampf auf, „um den Scheißern zu beweisen, was eine Harke ist“.[20] Die Auseinandersetzung steigert sich und wird persönlich, als Stam die Einstellung der eben aus dem palästinensischen Exil zurückgekehrten Grafikerin Lea Grundig ablehnt. Das ist aus ästhetischen Gründen wohl nachvollziehbar, aber dieser schönen jüdischen Frau liegt in großer Verehrung die Dresdener Bohème zu Füßen. Ihre Ablehnung wird als weiterer Beweis von Herzenskälte und Fremdheit wahrgenommen.

 

 

„Es ist der ewige Kampf zwischen den so genannten Intellektuellen, den kalten Schöngeistern, Winkelarchitekten und den schöpferischen Kräften, den künstlerischen Menschen. (...) Wir müssen versuchen, soviel als möglich von dem Wesen der Akademie zu erhalten, d. h. alles tun, damit ein Nachwuchs gesichert ist, der die Kunst, die bildnerisch gestaltende Kunst für die Zukunft sichert, in der sie eine große gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen hat. Stam ist meines Erachtens, derselben Ansicht ist auch Bill (Lachnit), Theo (Richter) und Josef (Hegenbarth), nicht der Mann, befruchtend und vorwärts weisend zu wirken, nicht auf diesem Gebiet … Die alte Garde lebt, trotz alledem. Auf uns richtet die Welt ihre göttlichen Augen. In Wirklichkeit haben nur wir allein den realen Beweis zu liefern ..., dass Sozialismus keine Utopie bleibe ...“[21]

 

 

In dem scharfen Konflikt äußerst sich zunächst tatsächlich nur die „alte Garde“. Es ist eine Wiederbelebung zwanzig Jahre zurückliegender Auseinandersetzungen unter linken Künstlern um die Rolle und Funktion von Kunst im Klassenkampf. Dabei wird getreu der Schriften von Georg Lukács das mimetische Prinzip der Abbildlichkeit, der Widerspieglung und figurativen Darstellung politisch gegen alle Arten moderner Abstraktion, Expressionismus ebenso wie Konstruktivismus, Materialästhetik oder Dadaismus in Stellung gebracht. Vor allem die „Erforschung unoptischer Eindrücke“, die Hubert Hoffmann als bleibendes Vermächtnis des Bauhauses hervorgehoben hatte, musste unter den „göttlichen Augen der Welt“ natürlich versagen. In der Tschechoslowakei hatte man diese harte kunstpolitische Konfrontation, die in Karel Teiges „Liquidation der Kunst“[22] kulminiert war, zur 1930 als „Generationsdebatte“ bezeichnet. Dort, einmalig in der kommunistischen Bewegung, hatte sich mit dem Poetismus der jüngeren Künstler und Architekten gegenüber der älteren Generation proletarisch-revolutionärer Schriftsteller letztlich die avantgardistische Linie durchsetzen können.

 

Stam in Berlin-Weißensee zwischen den Fronten des Kalten Kriegs

Nun lebte also diese Auseinandersetzung, durch welche Kunst der Sozialismus zur Realität gelangt, oder besser die Frage, ob die „kalten Winkelarchitekten“ aus der konstruktivistischen ABC-Gruppe[23] daran Anteil nehmen werden, in einem Moment wieder auf, als der Westen die Abstraktion als Ausdruck der Freiheit für sich begehrt und über die beiden Supermächte des Kalten Krieges eine gegensätzliche Globalisierung der Ästhetiken einsetzt.[24] Mart Stams ereilte sein damit verbundenes Desaster bereits als Leiter der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee, wohin er in Anbetracht der Schwierigkeiten in Dresden zum 1.5.1950 abberufen worden war. Hier durfte er mit den Malerkollektiven um Horst Strempel und dem Berliner Planungskollektiv eine entgegenkommendere Ausgangslage erwarten. Selmanagić plante die Umgestaltung der Mitte zu einer „Volksbildungsstadt“ mit einem Band neuer Hochschulgebäude, von denen ein eigener Komplex für Stam und seine Hochschule vorgesehen war. Während ihn also konkrete Bauaufgaben erwarten, vollzieht sich hinter den Kulissen zur selben Zeit ein fundamentaler Richtungswechsel. In Moskau werden seine Wiederaufbaupläne für Dresden und Selmanagić Projekte für Berlin inspiziert. Dass er überprüft wird, zeigt auch ein Bericht von der SED-Parteikontrollkommission angeforderter Bericht. Während seine fachliche und pädagogische Arbeit positiv beurteilt wird, heißt es hinsichtlich seiner politischen Qualitäten allerdings: „Gegenüber diesen sehr positiven Erfolgen des Genossen Stam steht seine Stellung zur Partei, die individualistisch ist… Der Begriff Parteidisziplin und Parteiverbundenheit ist nicht so stark beim Gen. Stam, dass er Beschlüsse, mit denen er nicht einverstanden ist, trotzdem durchführt…“[25]

Das ist ein politisches, noch kein künstlerisches Verdikt. Es deutet zunächst nur darauf hin, dass Stam die fortschreitende Stalinisierung der SED nicht mitvollziehen kann. Wenn in einer ein Jahr später angeforderten Beurteilung seines Dresdener Nachfolgers nun normativ von fachlichen Mängeln die Rede ist, deutet dies auf inzwischen kunstpolitisch veränderte Prämissen hin:

 

 

„Die Konsequenz, die er beim Beschreiten des an sich falschen, einmal eingeschlagenen Weges an den Tag legte, lässt den Schluss zu, dass er, gelenkt durch sein fachliches Besserwissen, das allerdings aus seiner bürgerlichen Herkunft stammt, die heute neu beschrittenen Wege (des „sozialistischen Realismus“ – A.d.V.) als fachlich unzulänglich betrachtet und es eigentlich als Mission ansieht, nach seiner Perspektive Kultur erhaltend zu wirken, ein Kurzschluss, der wiederum seine ideologischen Unklarheiten offensichtlich macht. Ansätze für die Feststellung, dass Prof. Stam bei ernsthafter Diskussion sich für den neuen Weg der Kunstentwicklung entschließen kann, bestehen nicht, weil seine heutige Stellungnahme so in seinem Wesen verankert ist, dass ein Abgehen von diesem Standpunkt nicht möglich ist, ohne dass er sich dabei selbst aufgibt. Die spezielle fachliche Seite, vom Schulischen her gesehen war bei ihm so spezifisch reformistisch bauhausartig, dass sie selbstverständlich von uns heute nicht mehr als tragbar angesehen werden kann. Er hat sich mit dieser spezifisch geistigen und modernistischen Haltung einmal in Widerspruch zu unserem demokratischen Neuaufbau gebracht und zudem ist er natürlich mit dem Teil der Dozentenschaft in Konflikt geraten, der unter anderen künstlerischen Perspektiven sich an die Lösung unserer heutigen Aufgaben herangearbeitet hat.“[26]

 

 

Obwohl er seit über einem Jahr mit weit größerem Erfolg als in Dresden und breiter kollegialer Unterstützung in Berlin-Weißensee als Rektor tätig ist und zugleich das der Hochschule angegliederte Institut für industrielle Gestaltung leitet, kündigt diese Beurteilung bereits an, dass man ihn am Ende dahin zurückschicken wird, wo die kosmopolitische Moderne im Kalten Krieg demonstrativ als Ausdruck von Freiheit in Beschlag genommen wird: in den Westen. Denn jetzt ist die Frage „Instrument oder Monument“[27], weiter Architekturbegriff oder Baukunst, kein Streit unter linken Künstlern mehr, sondern wird global als Blockkonfrontation ausgetragen. Entlang der wesensbestimmenden Frage nach der Funktionalität der Kunst entbrennt zwischen den Systemen der Kalte Krieg.

Trotz des für Stam persönlich fatalen Ausgangs, wird das von ihm gegründete und profilierte Institut, später Amt für industrielle Gestaltung als designpolitische Leitstelle bis zum Ende der DDR fortbestehen.

 

 

„Das Institut wird weitgehend Unterlagen und Material sammeln; es wird Mustersammlungen zusammenstellen und systematisch auf den verschiedensten Gebieten Spezialisten mit Forschungsaufgaben betrauen. Nach und nach wird dieses Institut imstande sein, immer mehr Betrieben zu helfen und sie bei der Verbesserung ihrer vorhandenen und gangbarsten Produkte zu beraten. Das Institut wird den Betrieben von Fall zu Fall – und immer in engstem Kontakt mit der Produktion – neue Modelle und neue Muster zur Verfügung stellen.“[28]

 

 

Auch darin kann man eine Fortsetzung des unter Hannes Meyer ins wirtschaftliche gewendeten Bauhauses sehen. Indem Stam seinen vielfältigen Aufgaben in den branchenbezogenen Beiräten für Produktgestaltung beim Ministerium für Leichtindustrie und in den Kommissionen für die Auswahl von Modellen für die Leipziger Mustermesse nachgeht, setzt er eine Tendenz, die der Meyer-Ära mit den Arbeiten für die Industrie ihre Anfänge nahm, als nachhaltige volkswirtschaftliche Institutionalisierung fort. Als engagierter und kritischer Gutachter arbeitete Stam nicht allein für einzelne Industriebranchen, sondern mit dem Zentralamt für Forschung und Technik der Staatlichen Plankommission sowie dem Deutschen Amt für Messwesen und Warenprüfung für Gremien mit ausgesprochener Richtlinienkompetenz. Stams Programmierungsprozess geht weit über die elementare Sozialisierung des Designs am Bauhaus mit der Fokussierung auf „Volksbedarf“ hinaus und ist, wie von der ABC-Gruppe erstrebt, gemeinnützige Sozial-, Kultur- und Wirtschaftspolitik in Union, die auf den arbeiterlichen Güterproduzenten als zugleich verantwortungsvollen Konsumenten orientiert.

Stam will den ganzen volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozess mit Gestaltung durchdringen. Ohne es zu ahnen, macht der als Produzent auftretende Künstler mit seiner am Arbeitsbegriff von Marx orientierten Gestaltungstheorie damit den politischen Kadern der SED ihre Kompetenz streitig. Wenn ihm daraufhin der Möbeltischler Walter Ulbricht in die Parade fahren wird, ist das weit mehr als ein rein persönlicher Konflikt oder nur eine oberflächliche Geschmackssache, sondern ein erkenntnistheoretisches Problem, das im Bereich der Begrifflichkeit beginnt. Der avancierte Gestaltungsbegriff des späten Bauhauses, Meyers „hohe Schule der Gestaltung“, die auf umfassende Sozialisierung und Gemeinwirtschaft hinarbeite, stößt an die Grenze der Aufnahmefähigkeit des politischen „Apparats“, keineswegs jedoch der Wirtschaft selbst. Stam kann sich der zurückgebliebenen marxistischen Doktrin gegenüber nicht behaupten, wie sehr ihn auch die Technologen, Ingenieure, Buchhalter und Betriebskollektive unterstützen. So werden Ansätze für eine planwirtschaftlich implementierte „totale“, massenwirksame und ressourcensparende Produktgestaltung schließlich in den Untergrund verwiesen, als eine Angelegenheit von Leuten die „trotzdem“ weitermachen bis sich ihre Sache schließlich auf dem Wege der Ökonomie auch ohne Agitatoren durchsetzen wird. Es scheint wie zeitgleich auch Bertolt Brecht einräumt, allein eine Frage der Reife in einem gesetzmäßig verlaufenden Prozess zu sein, der sein Momentum noch nicht erreicht hat.

Für Stam allerdings wird es keine Verlängerung geben. Als zu stark exponierter Agitator findet er sich und seine Hochschule im Jahr 1951 im Zentrum der sogenannten Formalismusdebatte wieder. Die in einer Fabrik angesiedelte Schule stellt sich bei Parteikontrollen von der Malerei bis zur Architektur offensichtlich als Hochburg des kosmopolitischen Bauhausgedankens dar, obwohl sie schon längst von dem Universalismus der konstruktivistischen Moderne abgerückt ist und ausgesprochen verbindlich zeit- und volksbezogene Ausdrucksqualitäten generiert. Diese Abkehr vom rein ikonischen Beweisen von Modernität durch Abstraktion, die Anpassung an Rezeptionsgewohnheiten der postfaschistischen Deutschen ist dem Verständnis von Stam nach „realistisch“[29]. Aller bewiesenen Flexibilität zum Trotz wird der Lehrkörper in Weißensee jedoch einer kunsttheoretischen Hirnwäsche unterzogen, am 2. Mai 1951 sind bei einer eigens angesetzten Fachtagung zu Fragen der Architektur Vertreter der Wirtschafts-, Propaganda- und Kulturabteilung des ZK der SED im Einsatz. Ohne Erfolg, denn Professoren und Studenten der Hochschule lehnen die neue Architekturdoktrin der „nationalen Traditionen“ ab, sie weigern sich, Bauten mit künstlerisch gestalteten Ornamenten zu verschönern und „verherrlichen“ sogar die amerikanische Architektur, die sie wohl in Richard Neutra und Mies van der Rohe verkörpert sehen.

Letzteres rührt an den springenden Punkt des Konfliktes, denn inzwischen ist die Kunstdebatte vollständig zur Waffe in der Systemauseinandersetzung geworden, Stam und die Schule geraten zwischen die Fronten des Kalten Krieges.[30] Seit 1950 finanziert die CIA die unter anderem aus Marshallplan-Rückflüssen und mit Mitteln der zu subversiven Zwecken gegründeten Henry-Ford-Stiftung konspirativ rund um den Kongress zur Verteidigung der Freiheit (Congress for Cultural Freedom, CCF)[31] ein breites intellektuelles und vor allem publizistisches Netzwerk, zu dem – nach allem was wir wissen – auch Walter Gropius mit seinem Copyright am Bauhaus gehört. Die Amerikaner fürchten zwar nicht die stalinistische Kulturproduktion, sondern haben Sorge, dass sich Avantgarde und Kommunismus vereinigen könnten, wie das in Hochburgen des europäischen Denkens in Paris, London und Berlin offensichtlich geschieht. Im Prinzip wird Deutschland in der Folge dieser globalen Auseinandersetzung von den beiden Supermächten kulturpolitisch kontradiktorisch kolonialisiert.[32] Annähernd zeitgleich zur im Osten 1950 organisierten „Reise nach Moskau“, an der von den Bauhäuslern nur Edmund Collein und Waldemar Alder teilnehmen, findet im Westen eine Architekten-Studienreise in die USA statt. Deren Teilnehmer müssen, ehe sie überhaupt einreisen dürfen, einige Wochen auf Ellis Island zunächst politische Schulungen absolvieren. Dann finanziert der CIA ihre Exkursion durch die Städte und Konsultationen an den Hochschulen der Staaten. Die cleveren westdeutschen Architekten bringen von ihrer „Reise nach New York“ vor allem Patente für autogerechte Infrastrukturen mit. Im Zeichen von Henry Ford steht auch der städtebauliche Export der CIA in die dritte Welt. Städte wie Bagdad oder Accra werden tatsächlich mit strukturalistischen amerikanischen Gitternetzen und autogerechten Highways zivilisiert. Der Stadtplaner Doxiades arbeitet im Auftrag der Firma vehement an der Amerikanisierung der Welt.[33] Die Rolle der Ford-Stiftung im Hintergrund, muss den Sowjets gerade die autogerechte Stadt ein scharfer Dorn im Auge ihrer städtebaulichen Interessen gewesen sein. Und da hatte der Genosse Stam für sein Kulturhaus in Böhlen sogar eine zukunftsweisende Drive-In-Lösung zum Vorschlag gebracht.

Mart Stam wird in der Auseinandersetzung, welchem politischen Lager das Projekt der Moderne systematisch gehören soll, als besonders exponierter Ausländer, als seit langem auf automobile Verkehrs- und Raumformen fixierter Fachmann und erwiesen salonkommunistischer Freidenker zum Angriffspunkt. Es wird sehr lange dauern, ehe die von ihm auf den Weg gebrachte Zeitschrift form+zweck im Jahr 1983 Karl Marx auf dem Stamschen Freischwinger platzieren und damit den Funktionalismus als die für den Kommunismus richtungsweisende Ästhetik zurück reklamieren wird. Und erst jetzt wird der Westen in der paradigmatischen Wende zu Postmoderne Gropius und das Bauhaus endgültig fallen lassen.[34]

 

Selman Selmanagić hält Kurs

Als Selman Selmanagić im Jahr 1950 von Mart Stam zum Leiter der Architekturausbildung nach Weißensee geholt wird, hat der spiritus rector des Berliner „Kollektivplans“ gerade das Berliner Stadion der Weltjugend fertiggestellt. In seiner Synthese aus Kunst, Design, Landschaftsgestaltung und Architektur stellt es ein Musterbespiel komplexer Umweltgestaltung nach dem Maß des Bauhauses dar, nicht allein durch die verwendeten Steine atmosphärisch mit einer kleinen Reminiszenz an seine Bauten in Jerusalem. Auch die Bilder der jungen Sportler erinnern, sehr zeittypisch übrigens, an jugendliche Gesichter aus dem Kibbuz. Die „Bauten der Jugend“, die das bauhäuslerische Planungsnetzwerk veranlasste, weisen deutliche Bezüge zu den agrarsozialistischen Traditionen der Bodenreform auf. Nicht zufällig, sondern aus lebhaftem Interesse hatte Selmanagić in Jerusalem bei dem führenden Architekten der Allija, Erich Kaufmann, gearbeitet, sich aber 1937 deutlich vom Zionismus als einer faschistischen Ideologie distanziert. Dieselbe kritische Wendung, jedoch gegen den Stalinismus als einer faschistischen Ideologie, hatte übrigens Karel Teige in der Tschechoslowakei seine führende Position gekostet. Er war 1938 aus der Levá fronta[35] ausgeschlossen worden. Bei dem großen Aussieben von kritischen und freiheitlichen Positionen war 1950 in Moskau auch der einem grünem, regionalökologischen Generalaufbauplan weiterentwickelte Kollektivplan Berlins der grundsätzlichen Revision anheimgefallen, indem es hieß er sei grob stadtfeindlich und überdies „Abercrombie pur“.[36] Überdies hatte Walter Ulbricht das eben noch dem 2. Parteitag gewidmete neue Stadion und die ersten Häuser an der Stalinallee als ortsfremd bezeichnet und mit einer Anspielung an die Exilländer von Selmanagić als in der Anmutung „afrikanisch“[37] bezeichnet.

Als Selmanagić an der Seite von Stam 1950 zum Hochschullehrer wird, leitet das gemessen an seinem immensen Tätigkeitsfeld beim Magistrat von Berlin einen Karriereknick ein, denn er wird als standhafter Bauhäusler auf Lebenszeit in die Hochschule verbannt bleiben. So kann man die Gründlichkeit besser ermessen, mit der er daran gehen wird, seine Lehre so perfekt wie möglich auf seiner Erfahrung vom Bauhaus zu begründen. Neben dem Kibbuznik Arieh Sharon kann der bosnische Muslim wohl als der zweite Musterschüler der Meyer-Ära betrachtet werden, auch wenn er Meyer nur in der Tischlerei, nicht mehr in der Baulehre selbst begegnet ist. Während Sharon in seinen Mitschriften sorgfältig Meyers Lehre dokumentiert hat, hat Selmanagić vor allem von den Gastlehrern jener Zeit profitiert, allen voran Karel Teige. Von diesem übernimmt er dessen poetische Konzeption der Künste als „modus vivendi“, als kommunikative Tonalität und als eine von allen Kunstgattungen gemeinsam orchestrierte sinnliche Welt. Teige scheint seine Auffassungen von einer „Welt, die duftet“[38] am Bauhaus vor allem mit Joseph Delteils Hypothesen der Begründung der Lebenslust aus chemischen Prozessen beworben zu haben. Nicht nur Selmanagić rekurriert darauf, sondern auch Umbo, der nach Gropius’ Ausscheiden, regelmäßig am Bauhausleben teilnahm. Vor allem Umbos kulinarische Interessen und die karrieretechnisch leichtfertige Art sich zu verschenken, weisen auf das von Teige vermittelte (und auch selbst gelebte) Vorbild hin, Kunst einfach als elementare Lebensäußerung, als Lebensmittel für sich selbst zu begreifen, das man nicht in Galerien wie einen Fetisch präsentiert. Erstaunlich viele Bauhäusler dieser Jahre, von denen folglich kunsthistorisch selten die Rede ist, haben weiter Beton gemischt, Hopfen angebaut oder Hochzeitgesellschaften fotografiert, und sind dabei sehr gelöst gewesen. Teige hat etwas eingebracht, indem er Delteil gewissermaßen als einen Protosituationisten wahrnahm und beerbte: Die echte, zu den Wurzeln zurückgreifende, „neolithische“ Boheme. Offensichtlich sind eine ganze Zahl von Bauhäuslern im falschen Leben oder in der falschen Gegenwart trotz allem richtig glücklich geworden. Sie mussten ihre Kunst ja nicht verkaufen. Genauso wenig, wie Karel Teige seine Collagen ganz für sich behielt, die erst lange nach seinem Tod öffentlich geworden sind.

Für Selmanagić, den Musterschüler von Teige, war der Weg in die hedonistische Verinnerlichung nur bedingt akzeptabel. Er ist Architekt und wird als solcher von Teiges übergroßer Idee des Plans einer neuen Erde in einer Weise angesprochen, die seine religiösen Sehnsüchte umgehend ins Diesseits verkehrt. Teiges in Fleisch und Blut übergehendes Kunstkonzept hat ein Pendant, das in den intelligiblen Bereichen des Hirns verankert ist. „Gebäude und Gedicht“[39] zwei Seiten menschlicher Gestaltungstätigkeit, die sich bedingen. Und „Bau“ bedeutet mit Teige gelesen, der Welt Struktur, geben, ihren Sinn verstehen und sich zu ihm zu verhalten.

 

„Pläne für eine neue Weltkugel“

Selmanagić, der 1932 bei Mies van der Rohe mit dem Bauhausdiplom Nr. 100 abschloss und dann mit Wils Ebert für Walter Gropius den Berliner Bericht für den 4. CIAM-Kongress vorbereitete, hat von Meyer, von Teige und sehr wahrscheinlich auch von Mies eine Ethik des Planens übernommen, die ihm jegliche Selbstgenügsamkeit verbot. In einem Schreiben an Walter Gropius zieht er 1965 Bilanz:

 

 

„Zufällig musste ich mich, nach 1950, fast ausschließlich mit dem Lehrerberuf begnügen, so dass ich notwendigerweise viele pädagogische und architektonische Probleme mit Muße und von vielen Seiten durchdringen konnte. Dabei wusste ich anfangs weder etwas von Pädagogik, noch wusste ich wie man Architektur lehrt, weil ich überhaupt nicht darauf geachtet hatte, wie meine Lehrer mich zum Architekten entwickelt hatten ... Naiv nahm ich an, ich könnte jedem Studenten genau wie einem Angestellten sagen, wie er Architektur zu machen habe; denn ich weiß ja
 wie man das macht, sowohl individuell wie kollektiv. Und mit großem Erstaunen und mit Enttäuschen sowie mit Verzweiflung stellte ich fest, dass es so nicht möglich war. Jetzt erst überlegte ich mir: Wie haben die Bauhausmeister mich zum ausgebildet? Ich erschrak über die neue, mir völlig unbekannte Situation, in die ich gestellt war sowie über die Verantwortung, einmal für die Entwicklung der Studenten, zum anderen für die Architektur. Ehrlich gesagt: Ich war ratlos. Täglich war ich mindestens acht Stunden in der Schule, nachts konnte ich nicht schlafen. So entstand, wie beim ersten Architekturlehrer der Welt, schrittweise der Lehrplan. Nun erst fing ich an, allmählich und mit steigender Bewunderung die Bauhausidee zu begreifen. Ein neues Licht ging für mich auf. Eine Lehre der ,totalen Architektur‘ (...) Als ich zum ersten Mal unseren Studienplan niederschrieb, war ich, obwohl ich doch selbst alle Unterrichte einzeln eingerichtet hatte, auch überrascht über die große Anzahl von Fächern.“[40]

 

 

In ausgesprochen betreuungsintensiver Unterrichtung wurden an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee etwa 30 Studenten der Architektur nach einer für alle Fachrichtungen einheitlichen Grundlehre von einem Jahr von fünf Architekten und unterstützt durch weitere technische Lehrbeauftragte aus der Praxis in künstlerischen und in wissenschaftlichen Methoden trainiert. Eine zweijährige Aspirantur kann über das normale Studium hinaus der Vertiefung in eine Spezialaufgabe zugutekommen. Besonders betont wird die künstlerische Analyse der Gegenständlichkeit jeder Art in ihren Entwicklungsphasen, die bedingt sind durch Funktion, Repräsentation, Material, Technologie, Konstruktion, Ökonomie usw. in jeweils gegenseitigen Abhängigkeiten. Jede Aufgabe wird von den Studenten selbst nach den drei Grundfragen programmiert: Für wen bauen? Was bauen? Wie bauen? – wobei die Zusammenarbeit mit den jeweils zuständigen Institutionen der DDR vorausgesetzt wird. Interessant ist die dreifache Fragestellung, offensichtlich eine eigene, richtigstellende Variante auf Mies van der Rohes Leitsatz, der das Verhältnis von „was“ und „wie“ klarstellen soll. Selmanagić ergänzt natürlich „für wen“ und fordert, dass die Studenten zunächst das Leben der Menschen in der Gesellschaft untersuchen und es in räumlich statische wie dynamische Funktionsbereiche übersetzen. Im Übrigen stehen Gemeinschaftsarbeit, interdisziplinäre „Verzahnung“ der Künste (ein Wort das so auch Hannes Meyer gebraucht) und kollektiver Austausch hoch im Kurs: will sagen Eignung zur Symbiose und zur Ensembleleistung.

Schaut man genauer hin, wie Selmanagić mit seinen Studierenden eine neue Stadt wie Schwedt plant, wird schließlich klar, dass die Studierenden hier nicht irgendeinen auf partikuläre ästhetische Fragen spezialisierten „Beruf“ lernen, sondern vielmehr ein Verhalten trainieren, eine Anspruchshaltung einüben, gleich wie die Praxis auch beschaffen sein mag. Die Absolventen sollen Mart Stam, Hans Schmidt und Hannes Meyer folgend gesellschaftliche Treuhänder für alle anstehenden Gestaltungsfragen werden und ein Typograph soll davon ebenso viel verstehen wie ein Schauspieler. Die Skala der Kooperation und Mitbestimmung reicht vom Schuh bis zur Abfallwirtschaft. Im Übrigen ist der Autor des Weißenseer Studienprogramms der Auffassung, seine Studenten sollten vier Wochen im Jahr ausdrücklich in landwirtschaftlichen Betrieben arbeiten. Und so schließt sich der Kreis mit einer Reminiszenz an die bosnischen Felder und den Kibbuz in Palästina. Selmanagićs Beobachtungen nach würden sich die Menschen, in absehbarer Zukunft, von der Maschine aus der schweren Arbeit befreit, zu ihrer großen Freude nichts lieber hingeben als dem Umgang mit Pflanzen und Tieren, dem Gärtnern, dem eigenhändigen Herstellen von Gegenständen und Raumqualitäten. In dieser Form des Zurückfallens in sein kreatürliches Wesen, als Aufhebung der Entfremdung von der Natur und existentielles Einswerden mit dem Planeten, hatte auch Karel Teige am Bauhaus den Sinn der modernen Gestaltung erklärt. „Eine Welt, die lacht. Eine Welt, die duftet.“[41] Der zeitlich entlastete Mensch wird nicht immer nur spielen wollen, sondern siedeln, pflanzen, schwarze Rosen züchten, auf orientalische Weise müßig sein. Diese in schlaflosen Weißenseer Nächten, „wie beim ersten Architekturlehrer der Welt“ als Bauhausidee vergegenwärtigte Totale mit ihrer Perspektive auf Heimkehr erscheint mir, mit jedem Tag der vergeht, immer erregender zu sein. „Alle Künstler verzahnt euch!“, hatte das Mantra des ruhelos Suchenden gelautet. Aber Kunst allein wird nicht reichen.

 

 

Footnotes

 

  1. ^ Die seit den 1970er-Jahren u.a. in Interviews von Siegfried Zoels entstandenen „Selmanagićs-Bände“ enthalten viele Stunden biografischer Erinnerungen. Eine kritische Gesamtedition der Autorin ist in Vorbereitung.
  2. ^ Katherine Pence: „Showcasing Cold War Germany in Cairo: 1954 and 1957 Industrial Exhibitions and the Competition for Arab Partners,“ Journal of Contemporary History 47, Nr. 1, Januar 2012, S. 69–95.
  3. ^ Auf diese Darstellung und umfassende Erörterung der Planungsziele legt Selman Selmanagić wert. Scharoun selbst habe mit der Planung so gut wie nichts zu tun gehabt, er sei neben seinen schwerpunktmäßig politischen Verpflichtungen allein mit der Wohnzelle Friedrichshain befasst gewesen. Von den insgesamt sieben Planern gehörten fünf der KPD an: Neben Selmanagić waren das Reinhold Lingner, Luise Seitz, Herbert Weinberger und Peter Friedrich. Wils Ebert teilte als „Juso“ die politische Präferenz seiner Kollegen für Planwirtschaft und Verstaatlichung. Die Planung war keine dienstliche Obliegenheit, sondern eine selbstbestimmte, politische Aufgabe dieser sechs Personen. Sie diente im Sinne von Hannes Meyer der „weltanschaulichen Demonstration“ planwirtschaftlicher wie ökologisch landbaulicher Prinzipien. Diskursive Ketten führen auch zur Marxistischen Arbeiterschule (MASCH) in der Berliner Schicklerstraße, an der Bauhaus-Studierende wie Ladislav Foltyn den vortragenden Architekten assistierten: Hugo Häring, Arthur Korn, Mies van der Rohe als jeweils Vertreter unterschiedlicher Architekturkonzeptionen. Die MASCH war exterritorialer Austragungsort der wichtigsten Architekturdebatten der Dessauer und Berliner Bauhausjahre.
  4. ^ Auch hier handelt es sich um eine Kollektivarbeit, die Grafik der Ausstellungstafeln besorgte Joost Schmidt.
  5. ^ Am ehesten versteht man die unter dem Zeichen der Wissenschaftlichkeit kollektiv vollzogene „therapeutische Wende“ am Bauhaus, wenn man sich Graf Dürckheims Lebenserinnerungen mit dem Titel Erlebnis und Wandlung: Grundfragen der Selbstfindung (Scherz Verlag, Bern 1978) ansieht. Dort bekennt der spätere Zen-Lehrer und initiatische Therapeut, dass die Erfahrung als Lehrender am Bauhaus ihn selbst erst auf seine besonderen Fähigkeiten aufmerksam gemacht und der vollständige Erfolg gegenüber einer absolut materialistisch eingestellten Schülerschaft seinem Leben eine Wende gegeben habe. Dass ihn Hannes Meyer berufen und vielfach konsultiert hatte, erwähnt der Freikorpsoffizier und spätere hochrangige Nazi-Diplomat allerdings nicht.
  6. ^ Über die Rolle von Karel Teige als formeller Nachfolger Ernst Kallais siehe Simone Hain: „Karel Teige: Typographie, Propaganda, Poesie, Architektur“, in: Philipp Oswalt (Hg.): Hannes Meyers neue Bauhauslehre, Bauwelt Fundamente, Bd. 164, Birkhäuser, Basel, Berlin 2019, S. 349–364.
  7. ^ Richard Neutras Schriften und insbesondere sein Bauen und die Sinneswelt wurden in der DDR in den 60er-Jahren von Hermann Exner, einem Schüler Adolf Behnes, in hohen Auflagen herausgegeben und waren lange Zeit die wichtigste Lektüre der Bauhauslehrer. Spätestens seit 1959 bestand enger Kontakt zwischen Selmanagić und Neutra, der auch dessen Weißenseer Schule besuchte.
  8. ^ Im Jahr 1953 hat der regierende Möbeltischler Walter Ulbricht mit dem VEB Zeulenroda einem anderen Betrieb die Branchenführung übertragen.
  9. ^ Die Vorschläge des Basler Architekten und Städtebauers Hans Bernoulli, den Wiederaufbau der zerstörten Städte auf eine solide kommunalwirtschaftliche Grundlage zu stellen (siehe Hans Bernoulli: Die Stadt und ihr Boden, Verlag für Architektur, Zürich 1946), hat er selbst in einer Gesetzvorlage geprägt, die den Namen „Lex Bernoulli“ erhielt. Die Stadtbehörden von Warschau, Prag, Wien, Budapest, Hamburg, Hannover, Düsseldorf, Braunschweig, Köln, Frankfurt, Karlsruhe, Stuttgart, Freiburg i.Br., Pforzheim, Ulm, Tübingen und München hatten Bernoulli zur Beratung eingeladen. Vgl. A. Bodmer in der Festschrift Bernoulli, 1951, S. 98f.
  10. ^ Autor unbekannt „Das Bauhaus in Dessau kommt wieder“, in: Neues Deutschland, 6.2.1948. Zitiert aus dem Grazer Nachlass von Hubert Hoffmann.
  11. ^ Selbst auf dem Höhepunkt der doktrinären Kampagne der „Nationalen Traditionen“ wird auf den Baufachmessen in Leipzig in Ehren vom Bauhaus und seinen Architekten gesprochen. Die Haltung zum Bauhaus ist in der DDR ressortabhängig und regional sehr verschieden. Während Konrad Püschel in Weimar sein Bauhausdiplom regelrecht aberkannt wird, amtiert mit Edmund Collein in Berlin viele Jahre lang ein Bauhäusler als Vizepräsident der Deutschen Bauakademie und als Kandidat des ZK der SED.
  12. ^ Doch erst beim ersten Weimarer Bauhauscolloquium 1976 wurde ein Vierteljahrhundert des vollständigen Schweigens über Mart Stam gebrochen. Siehe Gerhard Strauss: „Mart Stam und sein früher Versuch, Traditionen des Bauhauses in der DDR schöpferisch aufzunehmen“, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar, Heft 5/6, 23, 1976, S. 540f.
  13. ^ Neues Deutschland, 6.2.1948.
  14. ^ Vergleiche die beachtliche Charakterisierung Stams durch Hubert Hoffmann: „Erinnerungen eines Architekturstudenten“, in Philipp Oswald (Hg.): Die neue Bauhauslehre, a.a.O., S. 124.
  15. ^ Die kommunistischen Bauhäusler, insbesondere Max Gebhardt und Waldemar Alder, bekämpfen Hermann Henselmann unter anderem aufgrund seiner Berufung von ehemaligen SS-Mitgliedern und Gropius wird durch den empörten Hubert Hoffmann von Dessau aus über Henselmanns Weimarer Anmaßung informiert, ohne Lizenz einfach den Titel „bauhaus“ benutzen zu wollen. Auch Mart Stam wird sich hochschulpolitisch permanent mit Hermann Henselmann auseinandersetzen müssen. Keiner der Architekten dieser Generation, einschließlich Kurt Liebknecht, hat jemals persönlichen Umgang mit Henselmann gesucht. Man erlebte ihn jederzeit als Bedrohung und verachtete ihn zugleich.
  16. ^ Persönliche Mitteilung von Hubert Hoffmann von 1986, dessen Korrespondenz mit Gropius die parallellaufenden Bemühungen in Weimar und Dessau belegt. Nachlass Hubert Hoffmann, Technische Universität Graz.
  17. ^ Da Mart Stam, wie seine Frau Olga berichtet hat, im Jahr 1944 eine Einladung für die Leitung der neu gegründeten Londoner School of Industrial Design ausgeschlagen hatte, ist durchaus möglich, dass die Widerstandsgruppe um Falkenberg und Stam schon zu diesem Zeitpunkt auf Deutschland, und namentlich Dresden, fokussiert war.
  18. ^ Mart Stam, Brief an John Heartfield, 4.10.1949, Archiv Hochschule für Bildende Künste Dresden, Handakte Mart Stam.
  19. ^ Der unter Stam als Institutsleiter fungierende Schriftsteller und Spanienkämpfer Ludwig Renn war im mexikanischen Exil eng mit Hannes Meyer verbunden gewesen. Seinen starken Bezug auf den tschechischen Funktionalismus wiederum wird Stam in einem programmatischen Text der Berliner Jahre unterstreichen, in dem es heißt, sein Designprogramm sei nach „tschechischem Vorbild“ aufgebaut.
  20. ^ Eugen Hoffmann, Brief an Hans Grundig, 10.12.1948, zit. in: Hochschule für Bildende Künste (Hg.): Eugen Hoffmann, Lebensbild – Dokumente – Zeugnisse, Dresden 1985, o.S.
  21. ^ Ebd.
  22. ^ Der unter Konstruktivisten viel zitierte Begriff, hatte in der Urfassung bei Karel Teige 1922 „Liquidation des Jiří Wolker-Kultes“ geheißen, und sich auf die Idolfunktion der Kunst bezogen. Der destruktive Vorgang, den Walter Benjamin mit der „Zerschlagung der (alten) Aura“ kennzeichnen sollte, war bei Teige sofort mit einer Neudefinition von Kunst im Sinne von „Pop“ verbunden gewesen. Die Gegenfiguren zum Wolkers „Heizer mit den traurigen Augen“ waren Charlie Chaplin, Clowns und Columbinen gewesen. Teige ließ als proletarische Kunst nur Dada, Hollywood (Chaplin) und Varieté bestehen, das heißt gemeinsames performatives Spiel. Vgl. Karel Teige: Der Konstruktivismus und die Liquidation der „Kunst“, 1925, mit ders.: „Nové proletářské umění“, in: Revoluční sborník Devětsil, Prag 1922.
  23. ^ Mart Stam hatte mit Hans Schmidt in Basel die ABC-Gruppe gegründet, an der neben Paul Artaria, Emil Roth, Hannes Meyer auch El Lissitzky beteiligt war. Um sie gruppierte sich – unterstützt von den Kunsthistorikern Georg Schmidt und Karel Teige – der politisch radikalste Flügel der Konstruktivistischen Avantgarde. Von Dresden aus hatte schon Anfang der 30er-Jahre der junge Kurt Junghanns Kontakt zu der Gruppe gesucht, der andererseits eng mit Hans und Lea Grundig befreundet war. Man kann davon ausgehen, dass von dieser Gruppierung die eigentliche Begründung des „Funktionalismus“ als originär kommunistischer Ästhetik ausging, wie sie spät in der DDR von Lothar Kühne reklamiert werden sollte. Siehe auch Simone Hain: „ABC und DDR. Drei Versuche. Avantgarde mit Sozialismus in Deutschland zu verbinden“, in: Eckhart Gillen, Beatrice Vierneisel (Hg.): Kunstdokumentation SBZ / DDR. 1945–1990, DuMont Buchverlag, Köln 1996, S. 430–443.
  24. ^ Simone Hain: „Mart Stam in den Auseinandersetzungen um die ästhetische Kultur des Sozialismus“, in: S.D. Sauerbier (Hg.): Zwei Aufbrüche. Symposium der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte, Berlin 1997, S. 100–113; Simone Hain: „Verhinderte Wiedergeburt. Das Bauhaus und der Stalinismus. 1945–1952“, in: Philipp Oswalt (Hg.): Bauhaus Streit. 1919–2009. Kontroversen und Kontrahenten, Hatje Cantz, Ostfildern 2009, S. 110–133.
  25. ^ Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO-Brch), DY 30/Iv 2/906/180 Akte Überprüfung, Bl 1.
  26. ^ Professor D. Dähn: Beurteilung über Professor Stam, 17.5.1951, Archiv Hochschule für Bildende Künste (HfbK) Dresden, Akte Kader (Ka 10) 1951–1959.
  27. ^ Unter diesem Titel hatte Karel Teige 1929 seine epochemachende Auseinandersetzung mit Le Corbusier publiziert, die den sogenannte „Funktionalismus-Streit“ begründete, den Thilo Hilpert ausführlich untersucht hat.
  28. ^ Mart Stam: „Programm Institut für industrielle Gestaltung, Entwurf August 1950“, in: Hiltrud Ebert (Hg.): Drei Kapitel Weißensee. Dokumente zur Geschichte der Kunsthochschule Berlin Weißensee 1946 bis 1957, Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte, Berlin 1996.
  29. ^ In den harten Auseinandersetzungen nach der Moskaureise im Jahre 1950 betont Stam konziliant, „Wir alle suchen den Realismus!“ und auch Hans Scharoun hält in derselben Auseinandersetzung einen „magischen Realismus“ für opportun. Ähnlich äußern sich Hannes Meyer aus der Ferne und Bertold Brecht aus unmittelbarer Betroffenheit, auch sie halten das antibürgerliche avantgardistische Gestaltungs-Repertoire beim Aufbau des Sozialismus nur mit Einschränkung für angemessen.
  30. ^ Frances Stonor Saunders: Wer die Zeche zahlt...: Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg, Siedler Verlag, Berlin 2001; Volker Rolf Berghahn: Transatlantische Kulturkriege: Shepard Stone, die Ford-Stiftung und der europäische Antiamerikanismus, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2004.
  31. ^ Der CCF, 1950 zunächst in Berlin gestartet, von dort aber wegen offenkundiger Gegenspionage des Sowjetblocks rasch verlagert, war eine in Paris ansässige Kulturorganisation, die vollständig von der CIA kontrolliert und über (teils eigens zu diesem Zweck gegründete, teil komplett unterwanderte wohltätige) Stiftungen in den USA finanziert wurde. Ihr Ziel im Kalten Krieg war, hochrangige europäische Künstler und Schriftsteller in ihrem Sinne zu beeinflussen und gegen das kommunistische Lager zu instrumentalisieren. Das offizielle Selbstverständnis und Credo des CCF war eine Sammlung von linksliberalen Intellektuellen gegen den Totalitarismus.
  32. ^ Vgl. Greg Castillo: „Building Culture in East and West Berlin: Two Cold War Globalization Projects“, in: Nezar Alsayyad (Hg.): Hybrid Urbanism: On Identity and Tradition in the Built Environment, Praeger, London 2000, S. 181–205.
  33. ^ James Petras: The Ford Foundation and the CIA: A documented case of philanthropic collaboration with the Secret Police, 2001 (https://ratical.org/ratville/CAH/FordFandCIA.html; aufgerufen am 23.9.2019).
  34. ^ Tom Wolfe rechnete in seinem Werk From Bauhaus to Our House (1981) im Namen der amerikanischen Kultur in denkbar sarkastischer Weise mit dem „Silberprinzen“ Gropius und allen „Mieslingen“ der europäischen Immigration ab, die er bezichtigte sozialistische Wertvorstellungen in die USA eingeschleppt zu haben wie eine Seuche. Der erste Angriff dieser Art hatte 1960 übrigens Richard Neutras Projekt „Elysian Park“ in Los Angeles gegolten, das als „creeping socialism“ niedergeschlagen worden war. Neutra wandte sich als erster amerikanischer Architekt wieder der Sowjetunion und der DDR zu, die sein Werk begeistert aufnahmen. Die Russen feierten ihn gar als „Wohltäter der Menschheit“. In der DDR wiederum hat zuerst Kurt Junghanns das Eis gebrochen, indem er Mies für seine Crown Hall des MIT als Vollender der Architektur des 20. Jahrhunderts zu feiern begann.
  35. ^ Levá fronta, Die Linke Front, war eine Organisation tschechischer Linksintellektueller, die 1929 mit dem Ziel gegründet wurde, die sozialistische Kultur zu fördern und die Zusammenarbeit der fortschrittlichen Intelligenz mit der Arbeiterklasse zu organisieren. Karel Teige war Gründungsmitglied.
  36. ^ Im Bezug auf den Verkehrsplaner Londons Patrick Abercrombie, der mit seinem 1944 vorgelegten Greater London Plan die Stadt autogerecht entwarf. Den ganzen Vorgang der stalinistischen Revision von funktionalistischen Wiederaufbauplanungen und Avantgardekonzeptionen der frühen DDR enthält folgender Dokumentenband: Simone Hain: Reise nach Moskau. Dokumente zur Erklärung von Motiven, Entscheidungsstrukturen und Umsetzungskonflikten für den ersten städtebaulichen Paradigmenwechsel in der DDR und zum Umfeld des „Aufbaugesetzes“ von 1959, hg. vom Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Dokumentenreihe des IRS Nr. 1, Berlin 1995.
  37. ^ Walter Ulbricht, Protokollband 2. Parteikonferenz, Forschungsmaterial Simone Hain in den wissenschaftlichen Sammlungen des IRS.
  38. ^ Karel Teige: Svět který voní (A perfumed world), Odeon, Prag 1930 und ders.: Svět, který se směje (A world of laughter), Odeon, Prag 1928.
  39. ^ Übersetzter Titel eines Sammelbands mit Schriften von Teige: Karel Teige: Stavba a básen, Prag 1927.
  40. ^ Selman Selmanagić, Entwurf eines Briefes an Walter Gropius vom 8.9.1966, Archiv der Familie.
  41. ^ Das, was Selmanagićs zeitlebens von Karl Teiges Lehre am Bauhaus memoriert, kann man im sogenannten „2. Manifest des Poetismus“ (1930) nachlesen und ausführlicher in seinen mit (mein) „Ringen um den um den Sinn der modernen Gestaltung“ untertitelten Aufsatzbänden „Eine Welt, die lacht. (Teil 1)“ und „Eine Welt, die duftet (Teil 2)“ studieren. Auffallend ist in Selmanagićs Reflektion aus dem Bauhaus, dass in den Erinnerungen der Teige-Schüler das Legat von Joseph Delteil deutlicher wird, als in den Teige-Schriften selbst. Das gemeinsam am Bauhaus sondierte „Zielproblem des Kommunismus“ (so eines der attraktivsten Seminarthemen von Hermann Duncker) bestand in der Frage, was passiert, wenn nach Marx „der Mensch in sich zurückfällt“, wenn er seine neolithische Kindheit wieder gewinnt. Wie einerseits Karel Teige war auch Duncker ein Lehrer gewesen, der die poetischen Texte von Marx noch mit Tränen im Auge interpretiert habe (nach Erinnerungen von Stephan Hermlin, der Duncker an der MASCH gehört hatte, wie viel der Bauhäusler auch.)

Zeitschrift form + zweck, Ausgabe 5/1983, Herausgeber: Amt für industrielle Formgestaltung Titelgestaltung.

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