„Der Geist des Bauhauses ist in meiner DNA“

Carme Pinos über moderne und gegenwärtige Architekturen der Ausbildung

Für Gropius war die Bauhütte ein Ideal, beim Bau der Sagrada Família in Barcelona wurde sie Wirklichkeit. Just in den Jahren, als das Bauhaus seinem Ende entgegenging, entstand in der spanischen Metropole eine Ausbildungsstätte ähnlicher und doch ganz anderer Art. Im Herbst 2017 hat sie ein neues Quartier bezogen. Wir haben mit der Architektin der Escola Massana gesprochen.

Estudio Carme Pinós
Die katalanische Architektin Carme Pinós sucht und findet Formvielfalt in natürlichen Elementen.

Zur Person

Carme Pinós (Barcelona) ist Architektin und Architekturpädagogin. Ihre Bauten wurden mehrfach ausgezeichnet. Sie unterrichtete u. a. an der Harvard Graduate School of Design.

headline

Initiiert und gegründet wurde La Massana Fine Arts School von einem philanthropisch veranlagten Bäcker namens Agustí Massana. Der großzügige Bürger spendete 500.000 Peseten an den Stadtrat, um eine kostenfreie Schule zu schaffen, in der Kin­der der Arbeiterklasse eine Ausbildung bekommen sollten. Die Escola Massana, die als akademische Institution 1929 ihre Tore geöffnet hatte und sich heute als Art and Design Centre versteht, zog nun zur Plaça de la Gardunya um und erhielt dort eine neue Gestalt nach dem Entwurf von Carme Pinós.

Frau Pinós, aufgewachsen in Barcelona, waren für Sie der katalanische Modernismo und Antoni Gaudís Architektur und Design allgegenwärtig. Was empfanden Sie gegenüber dieser besonde­ren Baukunst Ihrer Heimatstadt?

Der katalanische Modernismo und vor allem Gaudí standen zu den Zeiten, in denen ich in Bar­celona studierte, nicht so im Fokus der Öffent­lichkeit, wie dies heutzutage der Fall ist. Dafür konnten diejenigen, die daran interessiert waren, diese Architektur auf eine sehr viel intimere Weise genießen. Ich bin sicher, dass der Exhibiti­onismus dieser Tage viele Studenten von Gaudí und seinen Werken sehr viel weiter entfernt. Wir studierten und besichtigten sie mit Begeisterungund einer gewissen Abenteuerlust, da die Ge­bäude im Allgemeinen nicht besucht wurden und sogar zum Teil halb verlassen waren, wie die Krypta der Colònia Güell. Gaudís Beziehung zur Natur war damals noch sehr viel deutlicher.

Der Holzschnitt von Lyonel Feininger für das Bauhausmanifest hat eine Aura des Mittelalters, die die Anfangsphase des Bauhauses beeinflusst hat. Aber während für Gropius die „Bauhütte“ eher ein Ideal war, war sie bei den Bauarbeiten von Gau­dís Kathedrale Sagrada Familía Realität. Was den­ken Sie über diese Gaudí­-Gropius-­Verbindung?

Natürlich bin ich keine Historikerin, die diesen Beziehungen auf den Grund gehen könnte, aber ich glaube, dass sowohl die Modernisten als auch die Mitglieder des Bauhauses der Wille bewegte, zur Ehrlichkeit in der Herstellung und in der Be­handlung der Materialien zurückzufinden. Es geht um eine Haltung zur maschinellen Produktion der Industrie, deren Bedürfnis, die anfangende Mas­senkultur zu befriedigen, dazu führte, dass alles nur zur Täuschung und zur schnellen Verführung hergestellt wurde, also zu etwas ganz anderem als das, was das Produkt wirklich war.

Sie wurden mit der Escola Massana beauf­tragt – der Bau an der Plaça de la Gardu­nya ist seit letztem Herbst vollendet. Die Fassade auf der Seite des Platzes hat eine Gitter­ oder Lamellenfassade aus Keramik. Sie haben dieses Design gemeinsam mit einem ehemaligen Professor der Schule und mit Ceràmica Cumella entwi­ckelt, einem alten traditionellen Familien­ unternehmen, mit dem einst auch Gaudí zusammenarbeitete. Warum dieses Mate­rial und diese Farbe? Was ist es, was Kera­mik noch heute für die zeitgenössische Architektur interessant macht?

Das Gebäude der Kunsthochschule La Massana ist Teil eines Großprojektes, das hinter dem Boquería­-Markt inmitten Barcelonas historischer Altstadt liegt. Dieses Projekt beinhaltet nicht nur den Neubau des Schulgebäudes, sondern auch ein Wohngebäude, die Erweiterung des Marktes und den Platz La Gardunya, um den sich die Gebäude gruppieren. Die jeweiligen Nutzungen sind also äußerst verschieden. Der urbanistische Ansatz ist darauf angelegt, einen dynamischen Raum zu schaffen, der zu dessen Mitte hin orien­tiert ist, und nicht einen zentralen Platz mit sich gegenüberliegenden Fassaden. Daher zerfällt die Volumetrie der Kunsthochschule in zwei Kör­per, die zueinander verdreht nicht nur Terrassen schaffen, sondern vor allem Dynamik und Leich­tigkeit vermitteln.

Ich möchte darauf hinweisen, dass das äußere Erscheinungsbild des Gebäudes zwar massiv wirken mag, die Fassade jedoch von innen sehr transparent und hell ist. Die Hauptfunktion der Keramikelemente der Fassade ist der Schutz der Intimsphäre der Studenten, die in den Werk­stätten arbeiten. Sie können bestens nach außen blicken, aber vom Außenraum her, vom Platz, hat man nur schwer Einblick aufgrund des speziellen Designs der Elemente.

Wir wählten Keramik als Material zusammen mit einer eher handwerklichen und nicht industriellen Herstellung, weil es gerade die kleinen Unvollkommenheiten sind, die feinen Nuancen der Farbtöne, mit denen dieser hand­ werkliche Herstellungsprozess der Fassade ihre Wärme verleiht. Keramik ist ein natürliches Ele­ment, das eine unendliche Formenvielfalt anneh­men und so an jedes Projekt speziell angepasst werden kann. Es ist daher ein sehr interessantes Material für Architekten, die eher das Einzigar­tige suchen.

Das Bauhaus hatte als Bildungseinrichtung einen weitverbreiteten Einfluss, auch wegen der vie­len ausländischen Studenten, die damals nach Deutschland kamen. Wie sehen Sie den Einfluss des Bauhauses auf die katalanische oder spanische Architekturausbildung?

Selbstverständlich hatte das Bauhaus einen star­ken Einfluss auf unsere Ausbildung. So sehr auch die Diktatur unter Franco versuchte, uns eine rückwärts gerichtete Vision der Kultur zu vermit­teln, so waren die europäischen Fortschrittsge­danken immer an unseren Universitäten präsent und natürlich auch in meinen Studienjahren.

Die Bevorzugung klarer Formen findet sich auch im Möbeldesign der Architektin wieder.
© Estudio Carme Pinós
Die Bevorzugung klarer Formen findet sich auch im Möbeldesign der Architektin wieder.

Nachdem wir den Einfluss des Erbes von Gaudí und des Modernismo auf die zeitgenössischen Generationen katalanischer Architekten erwähnt haben, sollten wir auch erwähnen, dass es mit dem Pavillon von Ludwig Mies van der Rohe (1929) mindestens ein echtes „Bauhäusler­-Ge­bäude“ in Barcelona gibt. Wie sehen Sie und Ihre katalanischen Kollegen dieses Gebäude?

Der Barcelona-­Pavillon ist sehr viel mehr als ein einfaches Gebäude, er ist das Symbol eines neuen Geistes, losgelöst von jeglichen Referenzen; das merkt man deutlich, wenn man ihn zusammen mit den anderen Gebäuden sieht, die für dieselbe Weltausstellung zur gleichen Zeit gebaut wurden. Barcelona ist stolz auf dieses Gebäude, auch wenn es nach der Weltausstellung abgerissen und erst viele Jahre später wieder aufgebaut wurde. Es wäre besser gewesen, wenn das nicht so geschehen wäre, aber wie dem auch sei, da steht er und ist weiterhin ein Vorbild für uns alle.

Eng verbunden mit dem Barcelona­-Pavillon von Mies van der Rohe ist der Barcelona Chair. Wenn man Ihre neue Firma „objects“ betrachtet, ist es auffällig, dass Sie Regale, Tische und Schränke im Sortiment haben, aber keine Stühle. Dabei erinnere ich mich an noch gut Ihren „Silla Sen­ tada“ von 1988 – wird es von Ihnen auch wieder Stühle geben?

Ich glaube, es gibt auf dem Markt wunderbare Stühle, und ich habe nicht den Drang verspürt, einen weiteren hinzuzufügen ... Vielleicht eines Tages, wenn ich einen Innenraum ge­stalte – aber bis jetzt habe ich immer den passenden Stuhl auf dem Markt gefunden. Unsere Objekte habe ich immer aus einer inneren Notwendig­keit heraus erdacht; fast alle entstan­den, um konkrete Probleme in be­stimmten Situationen zu lösen. Erst später kam die Idee auf, sie über das Internet und die Webpage objects.es auf den Markt zu bringen.

Alles, was wir für objects entworfen haben, produzieren wir auch selbst. Da die Designs immer sehr „elementar“ sind, arbeiten wir nur mit drei Zulieferern: Einer schneidet und biegt Metall­blech, ein weiterer lackiert und der dritte ist für Holz zuständig. Und Holz braucht bei uns in der Regel keine handwerkliche Arbeit, sondern nur den Zuschnitt, der im Allgemeinen computergesteuert wird.

Der letzte Bauhaus­-Direktor Mies van der Rohe war es auch, der dem Leitsatz „Weniger ist mehr“ zum Durchbruch verhalf. Gilt dieses Leitmotiv eigentlich auch für Ihre Gestaltung und gibt es da Unterschiede zwischen Objekten und Gebäuden?

Wenn wir objects und unsere Architektur analy­sieren, gibt es tatsächlich nicht sehr große Unter­schiede ... Die Designs von objects sind, genauso wie die Architekturprojekte des Büros, Ausdruck ihrer Funktion. Die Formen sind einfach und las­sen Spielraum zu, indem sie eine Vielzahl von Kombinationen ermöglichen ... Die Architektur, die in meinem Büro entsteht, basiert in der Regel auf einem statischen Prinzip, das uns erlaubt, es zu variieren, um zu einem formalen Ergebnis zukommen. Der Unterschied ist: Bei der Architektur sind wir es, die spielen – und bei objects lassen wir die Nutzer spielen ...

Im Jahr 2016 erhielten Sie den Neutra Award for Professional Excellence. Man hat Sie also mit einem Preis geehrt, der nach einem Architekten benannt wurde, der selbst am Bauhaus unterrich­tete und dessen Werk die Idee dieser Hochschule zu atmen scheint. Daher sei die Frage erlaubt: Inwiefern fühlen Sie sich mit Bauhaus verbunden?

Ich glaube, der Geist des Bauhauses ist in meiner DNA. Während meiner Ausbildung in der Studi­enzeit bildete das Bauhaus immer den Hinter­grund. Und seinem Geiste der Forschung, der Ehrlichkeit in Bezug auf die Nutzung der Materi­alien und der elementaren Ausführung ohne Tricks, versuche ich stets zu folgen, auch wenn ich sicher bin, dass man mich dadurch beschuldi­gen kann, ihn in einem bestimmten Moment auch mal verraten zu haben ...

headline

Frau Pinós, vielen Dank für das Gespräch!

Dieses Interview stammt aus der zweiten Ausgabe des Magazins „bauhaus now”.

autor

[ÖÖ 2018]

Zum Seitenanfang