Räume erobern!
Bauhaus Agenten Jahreskonferenz #3
Räume in der musealen Vermittlungspraxis zu erobern, das Museum mit den Alltagserfahrungen seiner Besucher*innen zu verknüpfen, heißt vor allem Schnittstellen und Berührungspunkte außerhalb des klassischen musealen Programms zu finden und zu nutzen: im Museumsfoyer, in der Stadt und im digitalen Raum. Das veranschaulichte vom 20. bis 22. Juni 2019 in Weimar die Bauhaus Agenten Jahreskonferenz #3 "Räume erobern" mit inspirierenden Workshops, Impulsvorträgen und zahlreichen Beispielen aus der internationalen Praxis.
Mit dieser Bauhaus Agenten Jahreskonferenz haben wir inhaltlich wie methodisch einen wichtigen Impuls geben können für den Diskurs um neue Wege der Vermittlung und Museumsgestaltung.
Silke Feldhoff
Überschrift
Wie klingt das Haus am Horn als Gedicht? Kann (und darf) man im Bauhaus-Museum auch Badminton spielen oder sich entspannt ausruhen? Und wie erzählt man mit Knete und buntem Papier eine Liebesgeschichte? Gleich zu Beginn der Konferenz wurde es praktisch und konkret: "Ästhetisches Handeln und das eigene Gestalten sind besondere Zugänge zum Bauhaus und zu unserer gestalteten Lebenswirklichkeit", hieß es im Konferenzprogramm. Wie eine erkenntnisreiche Praxis jenseits der in den Museen traditionell verankerten wissenschaftlichen Forschungsmethoden aussehen kann, zeigten am ersten Konferenztag die Bauhaus Agent*innen in drei Workshops im Haus am Horn und im Weimarer Bauhaus-Museum gemeinsam mit Schüler*innen und Lehrer*innen, Gestalter*innen und anderen Vermittlungsspezialist*innen.
Die Ergebnisse aus dem Workshop bildeten am Folgetag den Auftakt des öffentlichen Konferenzteils, der die praktischen Erfahrungen aus der Projektarbeit durch einen internationalen Pecha-Kucha-Abend und Impulsvorträge mit dem aktuellen internationalen Museums- und Bildungsdiskurs verband. Rund 100 Gäste waren der Einladung zum Erfahrungsaustausch in der Weimarhalle gefolgt: Programmteilnehmer*innen und -macher*innen ebenso wie freie und institutionell verankerte Vermittlungsexperten von Institutionen wie dem White City Center Tel Aviv, dem Historischen Museum Frankfurt, dem ZKM Karlsruhe, dem Landesverband Museumspädagogik Ost, dem Goethe-Institut Athen, der Fondation Beyeler oder Asociatia 37 aus Bukarest.
Kollektives Gestalten
als analog-digitale Lovestory
Zur Konferenzeröffnung feierte der Animationsfilm "Veronika und Mark" Premiere. Präsentiert wurde er von Schülern des Dessauer Liborius Gymnasiums, die im Workshop "BAUHAUS RELOADED" Gestaltung als kollektive Erfahrung erprobten: im digitalen Raum mit analogen Werkzeugen und einer guten Geschichte. Gemeinsam mit Jörn Hintzer von Datenstrudel, Spezialist für crossmediales Bewegtbild, und den Dessauer Bauhaus Agentinnen Tabea Kießling und Anne Schneider entwickelten die Schüler mit einfachen Materialien wie buntem Papier, Knete, Postkarten und einem Strick gemeinsam eine Geschichte, in der Analoges und Digitales miteinander verschmolzen. Im Entstehungsprozess loteten sie die Möglichkeiten des gemeinschaftlichen Handelns in Gestaltungsprozessen aus und fanden einfache wie wirkungsvolle Bilder für eine Geschichte, die aus ihrem Alltag stammen könnte – die Liebesgeschichte zwischen Veronika und Mark.
Museum als (d)ein Ort
im Live-Experiment
"Die Bauhaus Agent*innen sind Blinde-Flecke-Jäger (…) und tragen die Ideen der Besucher*innen in die Museen", beschrieb das Konferenzprogramm unter anderem das Aufgabenprofil der Bauhaus Agent*innen. Der Workshop "Offen – und jetzt? Museum als (d)ein Ort" nahm sich solch blinder Flecken an und fragte: Was macht das Museum neben den Ausstellungen aus? Was wollen wir hier tun? Wie wird Museum zum öffentlichen aber auch zum persönlichen Ort? Die Weimarer Bauhaus Agent*innen Maxie Götze, Valerie Stephani und Johannes Siebler gingen diesen Fragen gemeinsam mit Sabine Faller und Julia Tscherbakova vom ZKM Karlsruhe und einer Gruppe Jugendlicher nach. Sie nutzen den Vorteil der bereits eröffneten Ausstellungen im Bauhaus-Museum und im Neuen Museum für ihr Live-Experiment: Die Jugendlichen forderten die Museumsbesucher*innen zu museumsunüblichen Aktionen auf und entwickelten Wunschvorstellungen für "ihren" Museumsraum. "Museen sind nicht nur Orte des Sammelns, sondern auch des Versammelns", unterstrich Sabine Faller vom ZKM Karlsruhe diesen Ansatz zur spielerischen Erprobung alternativer Museumsraumnutzung. So wurde Tischtennis oder Badminton gespielt, an Papierfliegern gefaltet und ein Picknick im Gang abgehalten. Manch einer wollte sich aber auch einfach nur ausruhen – "Museen machen auch müde und brauchen mehr Räume für Ruhe und Entspannung", lautete eines der Erkenntnisse der Schüler*innen aus ihrem Live-Experiment.
Architekturerfahrung mit
Hausgedichten und "Fake Memories"
Der Workshop "Experiencing Architecture", der gemeinsam von Friederike Holländer vom Berliner Bauhaus Agenten Programm mit zahlreichen Kunstvermittler*innen des Berliner Bauhaus-Archivs und des White City Center Tel Aviv entwickelt wurde, suchte in einer modernen Architekturikone – dem "Haus am Horn" – nach alternativen Zugängen zu Architektur und kulturellem Erbe. Sechs gemeinsam erarbeitete Vorschläge mit weiter verwendbaren Handlungsanleitungen präsentierte das Workshopteam zur Konferenz. "Fake Memories" stellt zum Beispiel die Frage, wie es wohl gewesen wäre, selbst Bewohner*innen des legendären Haus am Horn zu sein und regt dazu an, mit nachgestellten Szenen aus historischen Fotos die Illusion eigener Erinnerungen zu kreieren. Gruppenaktionen wie "Drawing with both Hands" oder "Drawing in Circles", bei denen verschiedene Akteur*innen in den einzelnen Räumen an einer Skizze weiterzeichnen, eröffnen ebenso wie die Idee, ein Gedicht für das Haus am Horn zu verfassen, neue Architekturerfahrungen.
Pecha Kucha: Internationale
Strategien der "Raumeroberung"
Nach den Präsentationen der spezifischen Arbeit vor Ort wurde der Fokus am Abend auf internationale Erfahrungen erweitert: Ein Pecha-Kucha-Abend ermöglichte einen Zoom auf Projekte aus der Schweiz, Griechenland, Rumänien und Israel. Flavia Mayer von der Fondation Beyeler (Riehen, Kanton Basel-Stadt) sprach zu Erfahrungen der Peer to-Peer-Kunstvermittlung mit Schüler*innen in ihrem Haus. Dimitris Soudias, Leiter des Bereichs Information und Bibliothek am Goethe-Institut Athen, stellte den modularen Vermittlungsbaukasten BAUHAUS DIY vor, der auf das Prinzip des "Commoning", der Nutzung kollektiv verfügbarer Ressourcen, setzt. Irina Bălan von Asociatia 37, einer NGO, die sich für den Schutz des Kulturerbes in Rumänien einsetzt, gab Einblicke in das Projekt "Bauhaus Circle. Contemporary PLAY". Es bedient sich niederschwelliger Vorkursübungen à la Bauhaus und ermöglicht es Kindern, ihr Lernumfeld mitzugestalten – ein partizipativer Ansatz, wie ihn beispielsweise auch die von den Berliner Bauhaus Agent*innen initiierte "Lernraumforschung" und das "Möbelbauprojekt" am Bauhaus Dessau verfolgen. Zum Abschluss des inspirierenden zweiten Konferenztages zeigte Maayan Mozes Platnic, Performance- und Public-Art-Künstlerin in Tel Aviv, wie sie mit Kindern aus Beobachtungen der Stadt eine "Urbane Choreographie" entwickelt.
Impulse: Spielen, Teilhabe und Alltagserfahrung
Die Einbettung der vielen Praxisbeispiele und Impressionen in den aktuellen Wissenschaftsdiskurs übernahmen am dritten Konferenztag die drei Referent*innen der Impulsvorträge. Wirtschaftsinformatiker Dr. Thomas Voit ermutigte ganz im Sinne das Bauhauses zum spielenden Lernen und fragte in seiner Keynote: "Wie motivieren uns Spiele?" Stadtforscherin Katharina Böttger empfahl "Geteilte Expertise in der Museumsarbeit!" und verwies auf das Stadtlabor des Historischen Museums Frankfurt, das Bürgern Teilhabe ermöglicht. Turit Fröbe, die mit ihrer "Stadtdenkerei" und Publikationen wie den "Bausünden zum Abreißen" immer wieder neue, alltagstaugliche Zugänge zur Architekturvermittlung sucht, hielt zum Abschluss ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Baukulturvermittlung jenseits des erhobenen und gelehrten Zeigefingers, die auf Alltagserfahrung und -wahrnehmung setzt.
"Im Zentrum der Jahreskonferenz stand die Praxis und ihr Ziel war der fachliche Austausch über professionelle, institutionelle und nationale Grenzen hinweg. Das Konzept ist super aufgegangen, es gab faszinierende Einblicke in Konzepte und Methoden, inspirierende Diskussionen und bei allen vorgestellten Projekte Transfermöglichkeiten in ganz andere als die Ursprungskontexte. Mit dieser Bauhaus Agenten Jahreskonferenz haben wir inhaltlich wie methodisch einen wichtigen Impuls geben können für den Diskurs um neue Wege der Vermittlung und Museumsgestaltung.", resümierte Programmkoordinatorin Silke Feldhoff zum Abschluss der drei Konferenztage. Wir freuen uns auf die Fortsetzung in 2020. Die Abschlusskonferenz des Bauhaus Agenten Programms findet vom 17. bis 19. Juni 2020 im Bauhaus Museum Dessau statt.
(FE)