Für den Volksmund ist Bauhaus ein Begriff

Interview mit Jean Molitor

Seit zehn Jahren ist der Fotograf Jean Molitor in aller Welt unterwegs, um die architektonischen Zeugnisse der Moderne für die Nachwelt einzufangen. Sein Archiv gegen den Verfall dokumentiert neben Ikonen des Bauhauses auch zahlreiche unbekannte Schätze. Anlässlich seiner Ausstellung in Chemnitz, die auch viele regionale Bauwerke zeigen wird, haben wir mit ihm über 100 jahre bauhaus und 10 Jahre bauh1haus gesprochen.

Jean Molitor
Jean Molitor

Für Ihr "Fotoarchiv der Moderne" sind Sie weit herumgekommen. Wo spürten Sie die größte Begeisterung für die Gebäude, die Sie fotografieren wollten? Und wo war das Unverständnis Ihrer Leidenschaft für „alte Häuser“ gegenüber am größten?

Die größte Begeisterung ist immer dort zu spüren, wo die Menschen gerne in ihrer Architektur leben und sich ihrer bewusst sind. Das ist nicht unbedingt eine Frage des Ortes oder Landes. Ich kann mich an ein kleines weißes zweistöckiges Bankgebäude in Bandung/Indonesien erinnern, wo ich von außen beim Fotografieren beobachtet und kurze Zeit darauf von einem Security-Mann herangerufen wurde. Man brachte mich ins Innere des Hauses und ich befürchtete ein Fotoverbot. Stattdessen kam der Direktor zu mir, lud mich auf einen Kaffee ein und zeigte mir später voller Stolz jede noch so kleine Ecke des Hauses. Und in der Tat, es war detailverliebt dem Original getreu restauriert.

Anders im Kongo, wo das Fotografieren auf offener Straße eher unüblich und ohne Genehmigung des Bürgermeisters inklusive zweier bereitgestellter Polizisten wohl schwer möglich ist. Dennoch bildeten sich schnell Trauben um mich und mein Stativ und man wollte wissen, warum ich ausgerechnet diese Häuser fotografiere und was an ihnen so besonders sei. Sie seien alt, unkomfortabel, nicht traditionell und unschön anzusehen, ich solle doch lieber die grünen Landschaften fotografieren.

Als Sie Ihr Projekt in Burundi begannen, galt für Sie vieles als „Bauhaus“, was Sie heute selbst als „Bauwerk der Internationalen Moderne“ bezeichnen würden. Ist dieses Etikett „Bauhaus“ Ihrer Erfahrung mit den Gebäuden nach weltweit verbreitet oder ist das eine deutsche Projektion?

Das Projekt bau1haus befindet sich ja in ständiger Erweiterung. Aus meiner heutigen Sicht spreche ich lieber über die sogenannte klassische Moderne in unterschiedlichster Ausprägung. So fand die Moderne wohl auf verschiedenen Wegen ihre Verbreitung in der Welt, durch verschiedenste Richtungen wie DeStijl, den russischen Konstruktivsten und Avantgardisten oder Art déco, um nur einige zu nennen. Aber auch die Bauhaus-Ikonen Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe trugen neben vielen weiteren bedeutende Architekten wie Erich Mendelsohn, Frank Lloyd Wright, Peter Behrens, den Gebrüdern Taut, Hans Poelzig, Le Corbusier die Moderne in die Welt hinaus. Am Ende wird es ein großes Netzwerk gewesen sein und auch nicht klar zu trennen, wer wen inspiriert oder auch kopiert hat.

Weitere Verbreitung erfolgte über die Emigration und Kolonisation sowie über die Lehrstühle, über Publikationen und Architekturwettbewerbe, über Mustersiedlungen. Die Bauhaus-Schule mit ihren Ideen, Lehrern und Schülern sehe ich als eine wichtige Säule in dieser Gesamtentwicklung. Die Moderne ist eben nicht vom Himmel gefallen und das Bauhaus hat die Moderne nicht erfunden. Was mir auf meinen Reisen jedoch oft begegnet ist, dass die Menschen, welche ich befragte – und ich nenne es einfach den Volksmund – mit dem Begriff Bauhaus für sich etwas anzufangen wussten, mir runde Fronten, flache Dächer und verglaste Eckfenster zeigten.

Tankstelle, Kopenhagen, Architektur: Arne Jacobsen, 1938 / Foto: Jean Molitor
Foto: Jean Molitor
Tankstelle, Kopenhagen, Architektur: Arne Jacobsen, 1938 / Foto: Jean Molitor

Die meisten, wenn nicht alle Ihrer Werke dokumentieren nicht die Wirklichkeit, sondern zeigen virtuelle Zustände, frei von störenden Elementen. Dazu korrigieren, retuschieren, greifen Sie bewusst in das fertige Bild ein. Wo endet Ihr Eingriff und welche Kriterien legen Sie Ihrer Bildbearbeitung zugrunde?

Da es sich für mich nicht um ein dokumentarisch ausgerichtetes, sondern eher um ein künstlerisches Projekt handelt, versuche ich die Konzentration auf die Architektur auszurichten und temporären Ballast nicht mit zu erfassen. Das findet aber bereits in der Phase des Fotografierens statt, indem Zeit, Ort und Aufnahmetechnik genau überlegt sind. Am Sonntag in aller Früh lassen sich da zumeist bemerkenswerte Aufnahmen machen. Ein Stromkabel quer durchs Bild oder ein Papierkorb an der Wand dürfen gerne der Retusche zum Opfer fallen. Die Häuser oder gar die Architektur werden grundsätzlich nicht angefasst, selbst Klimaanlagen vor den Fenstern bleiben Bestandteil meiner Bilder, wie offene Fenster oder originaler Pflanzenbestand.

Ihr Projekt zeigt so gut wie kaum ein anderes: Die Moderne war eine globale Bewegung mit zahlreichen Akteuren. Ein wirkliches Zentrum lässt sich ebenso wenig ausmachen wie ein einheitlicher "Stil“. Was verbindet für Sie alle die Gebäude, die Sie gesehen und porträtiert haben? Gibt es trotz aller Vielfalt am Ende doch einen kleinsten gemeinsamen Nenner?

Da ich kein Architekt bin, sondern Fotograf, folge ich in erster Linie meinem eigenen ästhetischen Empfinden. Das Projekt will keine Antworten geben, sondern Fragen stellen, Formen und architektonische Gestaltungselemente gegenüberstellen. Und die Erfahrung mit den fotografierten und ausgestellten Objekten zeigt: Wenn man die Bildunterschriften entfernen würde, wären die Motive wohl nicht ohne Weiteres der entsprechenden Region zuzuordnen.

Tourismus-Ministerium, Kuba, Havanna, um 1940, unbekannter Architekt / Foto: Jean Molitor
Foto: Jean Molitor
Tourismus-Ministerium, Kuba, Havanna, um 1940, unbekannter Architekt / Foto: Jean Molitor

Nach welchen Kriterien haben Sie die Bildauswahl für Ihre aktuelle Ausstellung in Chemnitz getroffen?

Der Bezug zur Region ist wichtig. Die Gebäude in der Nachbarschaft zu zeigen als ein Teil der Moderne in der Welt.

100 jahre bauhaus ist auch 10 jahre bau1haus: Wann betrachten Sie Ihr Projekt als abgeschlossen?

Das Projekt wird wohl zumindest inhaltlich nicht abzuschließen sein. Derzeit sind 30 Länder anfotografiert und über 110 weitere erfolgreich vorrecherchiert. Mit derzeit knapp 400 ausstellungsreifen Motiven sehe ich den Anteil am geschätzten Volumen bei 1 %.

Guatemala, Quetzeltenango (Xela), Wohnhaus, um 1940, unbekannter Architekt / Foto: Jean Molitor
Foto: Jean Molitor
Guatemala, Quetzeltenango (Xela), Wohnhaus, um 1940, unbekannter Architekt / Foto: Jean Molitor

Ihre Leidenschaft für die Moderne konzentriert sich derzeit auf Gebäude. Wie halten Sie es mit Möbeln oder anderen Zeugnissen der Moderne? Werden Sie Ihr Archiv eines Tages um diese Zeugnisse modernen Gestaltungswillens erweitern?

In der Tat soll das Projekt um weitere Ebenen erweitert werden – wie Innenaufnahmen, Interviews mit Zeitzeugen und Bewohnern und wie jetzt bereits in Havanna mit detaillierten Recherchen zu den Hintergründen der bereits fotografierten Gebäude, etwa: Wer hat wann für wen und warum was gebaut? Allerdings ist das Projekt bislang frei finanziert und kann nur im Rahmen der begrenzten finanziellen, organisatorischen wie auch zeitlichen Möglichkeiten arbeiten. Seit 2016 wird das Projekt bau1haus von Dr. Deschan/Beuth Hochschule in Berlin, von Dr. Kielstein/Museum Henry van de Felde-Haus Schulenburg in Gera und von Frau Dr.Voss/Architekturhistorikerin in Muenchen fachlich unterstützt.

Foto: Jean Molitor
Guatemala, Guatemala-Stadt, ehem.Radiostation, um 1935, Architektur: Wilhelm Krebs / Jean Molitor
Jean Molitor

Last but not least: Ihre drei Lieblingsbauten der Moderne – und die drei skurrilsten Umstände, unter denen (trotzdem?) Aufnahmen für Ihr Projekt entstanden sind?

Meine Favoriten: Haus Schminke in Löbau, 1932-33, von Hans Scharoun, die Seevilla Atatürk in Istanbul, 1935, von Seyfi Arkan und das Boat House in Tel Aviv, 1934-35, von Shimon Hamadi Levi. Zum zweiten Teil Ihrer Frage gehört auf jeden Fall das Theater Barikot in Kabul, das ich bereits 2007 eher zufällig im Sinne des Projektstartes 2009 fotografiert habe. Dazu kommt die Textilfabrik „Rotes Banner“ in St. Petersburg, 1927 von Erich Mendelsohn, da mir die Kamera mit einem Chip voll drei Tage harter Arbeit geraubt wurde und dies nur ein Notbild ist. Nicht zu vergessen eine Autogarage in Guatemala-Stadt, um 1935, von unbekannt; der Taxifahrer hat sich verfahren und dieses architektonische Kleinod hätte ich sonst nie finden können, ein Traum.

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Herr Molitor, vielen Dank für das Gespräch!

    [NF 2019]

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