100 Jahre Bauhaus Experimentierfeld Bauhausbühne
Vorträge und Gespräche
Diese Veranstaltung findet statt im Rahmen von 100 jahre bauhaus - Das Eröffnungsfestival.
Wo?
Berlin, Akademie der Künste - Standort Hanseatenweg
Wann?
So, 20.01.2019 | 10:00 - 17:00
Was?
Symposium / Konferenz / Tagung
Moderation: Nicolas Flessa
Die Bauhausbühne war als Ort von Experimenten eine zentrale Einrichtung des Bauhauses, an der über Sprache, Material, Licht, Schatten, Raum, Bewegung und vieles andere gearbeitet wurde. Doch damit nicht genug – viele der Ideen und Überlegungen zu den vielfältigen Beziehungen aller ein ästhetisches Ereignis konstituierenden Elemente können auf spannende Weise in die Gegenwart verlängert und in der heutigen ästhetischen Praxis in neuer Gestalt, in einem anderen Kontext, mit anderen Ergebnissen wiederentdeckt werden. Die Vorträge unternehmen Ausflüge von den Ursprüngen der Bauhausbühne bis weit in den historischen, zeitgenössischen und extraterrestrischen Raum.
Eintritt frei
Halle 1 Clubraum
Reservierung erforderlich. Bitte melden Sie sich hier für die Veranstaltung an.
1. TEIL
11:00 Uhr
Bettina Wagner-Bergelt, Nicolas Flessa: Begrüßung
11:10–11:40 Uhr
Dr. Rainer Gruber: Raum als Konzept. Ein Streifzug durch die (Ab)Gründe der Physik
11:50–12:20 Uhr
Dr. Stephan Gregory: Allgemeine Beleuchtung. Inwiefern das Licht politisch ist
12:30–13:00 Uhr
Dr. Tim Otto Roth: Die vergessenen Schatten
13:10–13:40 Uhr
Prof. Dr. Gabriele Brandstetter: Ephemere Kunstfiguren
Diskussion
Pause bis 14:45 Uhr
2. TEIL
14:50–15:20 Uhr
Alexander Kerlin: Echtzeit und Fragment – Wie digitale Technologien das Erzählen verändern
15:30–16:10 Uhr
Prof. Dr. Jörg von Brincken: Kunstfigur 2.0 – Von der Einübung in die schöne neue Maschinenwelt
16:20–16:50 Uhr
Dr. Joseph Gassner: Ästhetik in der Naturwissenschaft – Imagination in der Zwangsjacke
17:00–17:30 Uhr
Torsten Blume: In Glas tanzen. Glas als utopisches Material der Bauhausbühne
Diskussion
19:30–20:20 Uhr
ARTE-Filmvorführung
Bauhaus Spirit Teil II - Vom Bau der Zukunft
Dokumentarfilm von Niels Bolbrinker und Thomas Tielsch, ARD/ZDF 2018
Dr. Rainer Gruber
Raum als Konzept. Ein Streifzug durch die (Ab)Gründe der Physik
Als vor 100 Jahren das Bauhaus gegründet wurde, erschütterte der Nachweis der Richtigkeit von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie – durch eine von Arthur Eddington geleitete britische Expedition – das Weltbild der Zeitgenossen. Vier Jahre später spricht Eddington erstmals vom ‚put-up job‘: Die Physik, so Eddington, findet nichts heraus, was sie nicht zuvor hineingesteckt hätte. Darin trifft er sich mit Kants kopernikanischer Wende. Diese konstatiert, dass „sich die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung nach den Bedingungen a priori der Erkenntnis richten und nicht umgekehrt“. 100 Jahre später wird deutlich: Das Konzept des Raumes nimmt eine Schlüsselposition ein. Indem es die Bedingung der Möglichkeit des Messens kodiert, formuliert es die Grundgleichungen der Physik. Im gleichen Atemzug konstituiert es sowohl die Objekte, die wir beobachten, als auch ihre Wechselwirkung. Nur vor dem Phantasma einer objektiven Natur erscheinen diese selbstgesetzten Bedingungen als Naturgesetze. Die stupende Fähigkeit der Physik, die Existenz von Elementarteilchen vorhersagen zu können – um Wigner zuzuspitzen: „the unreasonable effectiveness of reason“ – erklärt sich aus dieser Rolle des Raumkonzepts. Der Begriff einer physikalisch erforschten Natur verschwindet aus diesem Denken. 100 Jahre, nachdem die damaligen Zeitgenossen den Umsturz ihres Weltbilds aushalten mussten, sind wir an der Reihe.
Dr. Stephan Gregory
Allgemeine Beleuchtung. Inwiefern das Licht politisch ist
Bei der Geschichte des Lichts handelt es sich nicht um eine Geschichte unterschiedlicher Repräsentationen eines immer gleichen Lichts: Es geht vielmehr um die unterschiedlichen Formen des Im-Licht-Seins. Das Licht wird in historisch unterschiedlicher Weise ›gebeugt‹, ›gebrochen‹ und ›gestreut‹ – und wie das passiert, ist nicht zuletzt eine politische Frage.
Im 17. Jahrhundert wird das Licht nicht nur zu einem eigenständigen Objekt wissenschaftlicher Forschung, es vervielfältigen sich auch die Formen seiner politischen Instrumentalisierung. In einer Vielzahl von Künsten und Formaten werden die propagandistischen Möglichkeiten der Sonnenmetapher ausgereizt; zugleich wird in weniger spektakulärer Weise das Programm einer Ausleuchtung des Sozialen in Angriff genommen, von der Straßenbeleuchtung über die Statistik bis zur Geheimpolizei.
Solchen eklatanten Äußerungen von Lichtmacht hat sich bereits im 17. Jahrhundert eine andere Politik der Beleuchtung entgegengestellt. Wie der Vortrag zeigen will, kann die ›immanente‹ Lichtmalerei der Niederländer (vor allem Rembrandts) als ästhetisch-politischer Gegenentwurf zu der absolutistischen Instrumentalisierung des Lichts betrachtet werden kann, als Versuch, zu einer ›demokratischen‹ Neuaufteilung des Lichts zu kommen und damit eine andere Form der »allgemeinen Beleuchtung« (Marx) zu verwirklichen.
Stephan Gregory studierte Medizin in Marburg und Berlin, Philosophie und Literaturwissenschaft in München und Wien, arbeitete für den Bayrischen Rundfunk in München und lehrte Medientheorie an der Merz-Akademie in Stuttgart. Von 2010-2016 war er Juniorprofessor für Mediale Historiographien an der Bauhaus-Universität Weimar. Seit April 2018 arbeitet er dort an einem DFG-finanzierten Projekt zu «Verrat und Subjektivität». Näheres unter www.von-anderen-medien.de.
Dr. Tim Otto Roth
Die vergessenen Schatten
Sprichwörtlich ein gänzlich neues Licht brachte der frühzeitliche Mensch durch die Domestizierung des Feuers in die Welt. Gebändigt in Form von steinzeitlichen Steinlampen erlaubt es ein vorher ungekanntes subtiles Schattenspiel von Nähe und Ferne, dessen Physik und Geometrie sich gänzlich von Schattenwürfen in natürlichem Licht unterscheidet. Der Vortrag geht dem Phänomen nach, dass dabei offensichtlich die Aufmerksamkeit für die projektiven Eigenheiten von Sonne und Mond kulturgeschichtlich ins Hintertreffen geriet. War man bislang auf die Präsenz von natürlichem Licht angewiesen, um damit zu arbeiten, so kann man es heute auf technischem Umweg wiederentdecken: Erst der Computer erlaubt eine virtuelle Studio- oder Bühnensituation, indem mittels 3D-Simulation systematisch mit Sonnenlicht gearbeitet werden kann.
Dr. Tim Otto Roth studierte Politik und Philosophie in Tübingen. An der Kunsthochschule Kassel schloss er in der Theorie der Visuellen Kommunikation und als Meisterschüler Freie Kunst ab. Insbesondere in seinen Klang- und Schattenarbeiten, die er von Hanoi bis New York bereits international präsentierte, setzt er sich mit unterschiedlichen Darstellungsmöglichkeiten von Raum auseinander. An der Kunsthochschule für Medien in Köln promovierte er in Kunst- und Wissenschaftsgeschichte. Die 2015 unter dem Titel „Körper. Projektion. Bild - eine Kulturgeschichte der Schattenbilder“ (Fink) erschienene Doktorarbeit ist ein Standardwerk.
Prof. Dr. Gabriele Brandstetter
Ephemere Kunstfiguren – Bauhausästhetik Bauhaus-Ästhetik im modernen und zeitgenössischen Tanz
Die Ästhetik des Bauhauses hat stilbildenden Einfluss auf den Tanz: von der Moderne bis heute. Ein neu konzipiertes Verhältnis von Körper und Raum, Bewegung, Technik und Medialität ist prägend für die Idee der „Kunstfigur“. Deren Spuren sollen im Vortrag verfolgt werden – von Oskar Schlemmer bis zu Gerhard Bohner, der Gruppe Rubato, William Forsythe und anderen zeitgenössischen Choreograph*innen.
Alexander Kerlin
Echtzeit und Fragment. Wie digitale Technologien das Erzählen verändern
Die digitale Übertragung und -verarbeitung selbst von großen Datenmengen sind so schnell und zuverlässig geworden, dass die Zahl der Anwendungen, die ohne spürbaren Zeitverlust auf der Bühne genutzt werden, sprunghaft angestiegen ist. Videobilder und Tonsamples können in Echtzeit aufgenommen, bearbeitet und ausgespielt werden; stabile Funkübertragungen sorgen für eine neue Freiheit der Kameraleute; Bewegungsdaten von Körpern können live getrackt und in virtuelle Räume übertragen werden, inklusive Lippensynchronität; Bilder, Töne und andere Daten können aus großer Entfernung live in das Bühnengeschehen importiert werden, und selbst die Verschaltung von mehreren Bühnen und das Zusammenspiel zweier Ensembles über hunderte Kilometer Entfernung ist erprobt.
Entlang von mehreren Theaterprojekten am Schauspiel Dortmund zwischen 2013 und 2018 zeigt der Dramaturg und Autor Alexander Kerlin, wie digitale Technologien in die Bühnennarrative und Bilder hineinragen, sie fragmentarisieren und neu zueinander in Beziehung setzen - und somit die Produktion von Bedeutung auf Bühnen nachhaltig umkrempeln. Die Frage an die Bühne lautet nicht mehr: Wie ist das Verhältnis der Darstellung zur sogenannten Wirklichkeit? Sondern: Wie kommen Bedeutung und Orientierung in der Digitalen Moderne überhaupt zustande?
Alexander Kerlin ist ab Sommer 2019 Dramaturg am Burgtheater in Wien. Von 2010 bis 2019 war er Dramaturg und Autor am Schauspiel Dortmund. Er schreibt Kolumnen, Essays und Mash-Up Theaterstücke, so z.B. DAS GOLDENE ZEITALTER, DIE BORDERLINE PROZESSION, DIE PARALLELWELT (gemeinsam mit Kay Voges) und DAS INTERNAT (mit Ersan Mondtag).
2018 war er Künstlerischer Leiter der Konferenz ENJOY COMPLEXITY - 1. Dortmunder Konferenz für Digitalitität und Theater, zudem ist er Gründungsmitglied und Organisator der Akademie für Digitalität und Theater in Dortmund.
Alexander Kerlin kuratiert und moderiert die Gesprächsreihe BLACKBOX zu Themen der Migrationsgesellschaft. Seit 2011 Leitung des DORTMUNDER SPRECHCHORS und Regie bei Sprechchorstücken, zuletzt DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY (2016, mit Thorsten Bihegue). Lehraufträge in den Studiengängen Dramaturgie und Theaterwissenschaft in Leipzig, Bochum und Frankfurt.
2014 zeichnete ihn das Land Nordrhein-Westfalen für seine Arbeit mit dem Förderpreis für junge Künstlerinnen und Künstler in der Sparte Theater aus. DIE BORDERLINE PROZESSION war zum 54. Berliner Theatertreffen 2017 eingeladen, DAS INTERNAT war nominiert für den Wiener Theaterpreis Nestroy 2018.
Prof. Dr. Jörg von Brincken
Kunstfigur 2.0 – Von der Einübung in die schöne neue Maschinenwelt
„Nicht Jammer über Mechanisierung, sondern Freude über Präzision! Die Künstler sind bereit, die Schattenseiten und Gefahr ihres mechanischen Zeitalters in die Lichtseite exakter Metaphysik umzumünzen.“
Das Programm einer Mechanisierung des Menschen, das Oskar Schlemmer im Jahre 1926 euphorisch beschwor, besitzt vor dem Hintergrund gegenwärtiger technologischer Entwicklungen, die die Grenze zwischen Mensch und Maschine zunehmend unscharf werden lassen, erstaunliche Aktualität. Zumal Schlemmer ausgerechnet die Künstler als treibende Kraft hinter der mechanischen Erneuerung des Menschen sah, die sich ganz gemäß der Bauhaus-Philosophie vor allem auch auf den nichtästhetischen Bereich ausdehnen sollte. Gerade heute, wo sich Ästhetik und Technologie engstens verschwistern, stellt sich die Frage, ob nicht nur die ‚hohe‘ Kunst sondern gerade auch die Cultural Industries und ihr Kreativbereich bei der Einübung des Menschen in neue biotechnische Sphären eine wesentliche Rolle spielen. Kann etwas wie das Computerspiel mit seinen digitalen Kunstfiguren als Schulungsraum für neue Lebens- und Arbeitsverhältnisse gewertet werden? Ist die Popularität des Cyborg in den Unterhaltungsmedien mit der Faszination einer fiktiven prothetischen Körperlichkeit erklärbar, oder ist sie Ausdruck einer transhumanistischen Weltanschauung und Resultat einer Techno/Bio-Politik? Diesen für unser Zusammenleben mit der Maschine grundlegenden Fragen versucht der Vortrag auf den Grund zu gehen.
PD DR. Jörg von Brincken ist Akademischer Oberrat am Institut für Theaterwissenschaft der LMU München. Sein wissenschaftliches Hauptinteresse gilt dem Film, den Medien und dem Computerspiel im Spannungsfeld ästhetischer, weltanschaulicher, technologischer und ökonomischer Bezüge.
Dr. Josef Gassner
Ästhetik in der Naturwissenschaft – Imagination in der Zwangsjacke
Das aktuelle wissenschaftliche Weltbild wird maßgeblich beeinflusst von der Suche nach Ästhetik in der mathematischen Beschreibung unserer Welt. Gleichzeitig müssen diese symmetrischen und eleganten Theorien sich der Realität stellen: dem Experiment. Das letzte Wort erhält stets die Natur. Wissenschaft gerät somit mehr und mehr zur Imagination in der Zwangsjacke – sie muss immer komplexere Fragen an die Natur ermöglichen – frei nach Walter Gropius: „Das Endziel aller theoretischen Modelle ist der Bau eines geeigneten Experiments.“ Moderne Experimente werden dabei zu gewaltigen, Kontinente überspannenden, interdisziplinären Großprojekten, zu denen Tausende aus vielen Berufssparten ihren Mosaikstein beitragen.
Dr. Josef Gassner ist Diplom- Mathematiker (OTH Regensburg), Diplom-Physiker (LMU München) und promovierte in theoretischer Astrophysik (LMU München). Er ist Research-Fellow der Universitätssternwarte München, Grundlagenforscher, Kosmologe, Astronom, Sachbuch-Autor, Betreiber des YouTube-Kanals „Urknall, Weltall und das Leben“, sowie Lehrbeauftragter der Hochschule Landshut für Astronomie und Kosmologie. Außerdem gründete er ein Hilfsprojekt für Indien.
Torsten Blume
In Glas tanzen. Glas als utopisches Material der Bauhausbühne
Während in den architektonischen Projekten des Bauhauses sich im Glas zumeist rational begründet, Transparenz, Hygiene und technische Klarheit manifestierte, thematisierten v. a. Oskar Schlemmer und László Moholy-Nagy in ihren szenografischen und Bühnenexperimenten die utopischen und metaphorischen Dimensionen des Glases: als ein Medium, in dem die Durchdringung von Mensch und Technosphäre künstlerisch modelliert werden kann. Im Vortrag werden einige der Experimente vorgestellt und zugleich wird danach gefragt, inwieweit diese vor allem in einer aktualisierten Bauhausbühnenpädagogik heute inspirierend wirken können.
Adresse
Akademie der Künste - Standort HanseatenwegHanseatenweg 10
10557 Berlin, Deutschland
Förderformel
100 jahre bauhaus. Das Eröffnungsfestival ist eine Initiative der Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar und wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes. Mit freundlicher Unterstützung durch die Sparkassen-Finanzgruppe. Das Festival findet in Kooperation mit der Akademie der Künste, Berlin statt.